Die Grünen experimentieren beim Bundesparteitag in Kiel mit kleinen Diskussionsrunden. Es geht um Finanzkrise, Klimawandel, Demokratie.

Kiel. Es ist Grünen-Parteitag in Kiel, doch die Tagungshalle ist fast leer. Ein paar Dutzend Delegierte hocken auf der Bühne im Stuhlkreis zusammen. Die übrigen Grünen sind anderswo in kleine Diskussionsgruppen verschwunden. Eine Premiere beim Parteitag, ein Experiment.

Die Grünen geben viel auf ihre Basisdemokratie. Endlose Debatten auf Parteitagen und überraschende Abstimmungen gegen den Kurs der Bundesspitze gehören zum guten Ton. Nun wächst die Partei, und die Mitsprache der Basis wird immer schwieriger. Das macht erfinderisch: Workshops sollen dafür sorgen, dass die Delegierten nicht nur stumm beim Parteitag sitzen, zuhören und nach drei Tagen erschöpft nach Hause fahren, sondern mitreden und zu Wort kommen. Das Thema: Demokratie.

Und so irren ein paar Hundert Delegierte durch die Tagungshalle in Kiel auf der Suche nach ihrer Rederunde. 13 Workshops gibt es insgesamt. In der „Business-Lounge“ im dritten Stock finden sich gut 50 Grüne ein, die über die Demokratie in der eigenen Partei sprechen wollen.

„Ich will eigentlich mehr mit euch reden“

Sollten mehr Beschlüsse der Partei per Internet-Votum fallen? Die Runde ist unentschieden. „Einfach mal ausprobieren“, meint einer, „wir müssen uns dem stellen. Die Piraten laufen uns da den Rang ab.“ Eine ältere Delegierte schaut skeptisch. „Ich will eigentlich mehr mit euch reden“, sagt sie. Alles nur per Mail und online, das sei nichts für sie. Ein junger Typ mit Pferdeschwanz meldet sich. Er ist erst im Februar von den Piraten zu den Grünen übergelaufen. Dass alles online diskutiert wird, ist auch dem Ex-Piraten zu viel. Aber einige Themen seien dafür eben sehr geeignet.

Irgendwann wird der erste hungrig, kramt ein Glas Bio-Joghurt aus seinem Baumwollbeutel und fängt an zu löffeln. Basisdemokratie ist eine anstrengende Sache. Die Runde ist inzwischen beim Wachstum angekommen. „Wenn wir irgendwann doppelt so viele Mitglieder haben, können sich nicht alle so beteiligen wie bislang“, sagt ein junger Mann. Andere nicken, schauen aber doch irgendwie ratlos.

Hinter einer Stellwand auf der anderen Seite der „Business Lounge“ diskutieren Delegierte das Für und Wider eines neuen NPD-Verbotsverfahrens. Immer mal wieder wird es laut. Ein Verbot sei doch nichts als eine Kapitulation der Demokraten, schimpft einer. Ein anderer Delegierter warnt, ein erneutes Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht wäre blamabel.

Deutlich ruhiger geht es im Workshop zum Wahlrecht zu. Die Grüne Jugend möchte, dass jeder, der in Deutschland lebt, unabhängig von der Staatsbürgerschaft und vom Alter wählen darf. Ein provokanter Vorschlag, doch neben dem Sprecher der Grünen Jugend, Karl Bär, haben sich nur zwei Jugendliche und eine ältere Delegierte eingefunden. Die geplante Aufteilung des Workshops in zwei Arbeitsgruppen fällt aus. Die einzige Teilnehmerin schlägt vor, das Mindestalter für Wahlen abzusenken, aber vorerst nicht auf Null zu setzen. Es gehe eben immer alles nur schrittweise, „es ist furchtbar“, meint sie. Die drei Männer nicken.

Irgendwann geht der Gesprächsstoff aus

Kontroversen sucht man in diesem Arbeitskreis vergebens, nach einer guten halben Stunde geht der Gesprächsstoff langsam aus. „Wann geht es eigentlich weiter mit dem Programm?“, fragt einer der Jugendlichen. Es folgt eine kurze Debatte über den weiteren Ablauf, dann Stille. „Warste vorher schon mal in Kiel?“, fragt der junge Mann Karl Bär. Das Thema Wahlrecht ist durch.

Auf der Bühne wird dagegen bis zum Ende der vorgesehenen Zeit fleißig debattiert. Es geht um die Frage, was die aktuellen Krisen - von der Finanzkrise bis zum Klimawandel - für die Demokratie bedeuten. Eine junge Delegierte aus Berlin verlangt „radikale Änderungen“ der europäischen Demokratie und gibt zugleich zu bedenken: „Ist natürlich voll schwierig, das durchzusetzen.“ Parteichefin Claudia Roth meldet sich beharrlich, kommt aber nach einer Wortmeldung zu Beginn lange nicht an die Reihe. Bei der Frage nach Lösungsansätzen herrscht in der Runde Ratlosigkeit. Stärkung der Demokratie und der Parlamente, mehr Mitsprache überall und immer - konkreter wird es kaum.

Die Workshop-Idee sei ganz sicher keine Antwort auf den Wahlerfolg der Piraten in Berlin, beteuert Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. Es gehe auch nicht um „Basis-Bespaßung“, sondern um ernsthafte Debatten. Eine kurze Abstimmung nach den Diskussionsrunden ergibt, dass auch die Mehrheit der Delegierten experimentierfreudig ist: Sie wünscht sich beim nächsten Parteitag wieder eine Workshop-Phase – auch wenn niemand weiß, wie der Wust an Beiträgen gesammelt, gebündelt und womöglich strukturiert werden soll. Aller Anfang ist schwer.