Bundestag einigt sich auf Einführung einer bundesweiten Wertstofftonne. Umweltschützer sprechen von Tricksereien.

Hamburg. Es geht um eine Branche, in der eine Viertelmillion Menschen arbeitet. Eine Branche, die jährlich 50 Milliarden Euro Umsatz macht. Es geht um Müll. In diese Branche hat sich nun der Bundestag eingemischt. Am Freitag hat die schwarz-gelbe Koalition gegen die Stimmen der Opposition das sogenannte Kreislaufwirtschaftsgesetz durch den Bundestag gebracht.

Die umstrittene Gesetzesnovelle sieht vor, dass die Wiederverwertung von Haushaltsabfall bis 2020 auf 65 Prozent gesteigert werden soll. Ebenfalls in dem Gesetzespaket enthalten ist ein Entschließungsantrag, der Sprengstoff in sich birgt. Darin legt sich die Regierung darauf fest, im kommenden Jahr in einem eigenen Gesetz eine neue, bundesweite Wertstofftonne einzuführen, die voraussichtlich die bislang bekannte Gelbe Tonne des Dualen Systems ablösen wird. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hofft, dass damit weitere sieben Kilogramm an Wertstoffen pro Jahr und Einwohner eingesammelt werden können.

+++Recycling? Nein Tricycling+++

+++Hamburg ist Schlusslicht bei der Mülltrennung+++

Das neue Entsorgungssystem soll sich auch von der Wertstofftonne unterscheiden, die es seit April dieses Jahres bereits in Hamburg gibt. In die Hamburger Tonne darf man seit April nicht nur Verpackungen des Grünen Punktes werfen, sondern auch Abfälle aus Metall und Kunststoff, wie zum Beispiel alte Bratpfannen und Legosteine. In die "Bundes-Tonne" sollen dagegen alle recycelbaren Stoffe kommen - also auch Papier und Holz. Die Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt sieht das skeptisch: "Eine Tonne für alle Wertstoffe ist nicht sinnvoll", heißt es auf Anfrage. Derzeit arbeitet das Umweltbundesamt an einer Liste der Materialien, die in die Tonne wandern sollen.

Vor allem private Entsorgungsunternehmen üben jetzt massive Kritik an der geplanten Regelung. Ihr bisheriges Quasi-Monopol auf das Einsammeln wertvoller Rohstoffe gerät nun in Gefahr. Denn wer die Bundestonne in den einzelnen Städten abholen wird - ob die privaten Entsorger des Dualen Systems oder die kommunale Stadtreinigung -, soll durch Ausschreibungsverfahren von neutralen Schiedsstellen geklärt werden. Zudem soll derjenige, der den Zuschlag erhält, vertraglich verpflichtet werden, drei Jahre lang die Tonnen zu leeren. So soll verhindert werden, was die Hamburger 2008 und Anfang 2009 beim Altpapier beobachten konnten: Als die Altpapierpreise stiegen, stellten private Entsorger flugs eigene blaue Papiertonnen auf - die sie wieder einsammelten, als der Papierpreis wieder fiel.

Nun werfen die privaten Unternehmen den Kommunen vor, sich ungerechtfertigt gegen die Konkurrenz des freien Marktes abzuschotten: "Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Kommunen ein faktisches Monopol auf die Wertstoffsammlung erhalten sollen und der freie Wettbewerb um die beste Entsorgungslösung torpediert wird", kritisiert Tobias Weitzel, Pressesprecher des Hamburger Entsorgers Veolia Umweltservice GmbH. "An diesem Wettbewerb hätten sich Kommunen gerne beteiligen können. Eine Komfort- und Liegezone für Gemeinden bringt jedenfalls keinen Fortschritt."

Und Peter Kurth, Präsident des Entsorger-Verbandes BDE, schimpft: "Vom klaren Bekenntnis in der Koalitionsvereinbarung, die Überlassungspflichten nicht auszuweiten und die gewerbliche Sammlung nicht einzuschränken, ist wenig übrig geblieben." Die Stimmung ist gespannt, denn es geht um viel Geld. Einer Studie im Auftrag des BDE zufolge könnte der Produktionswert sogenannter Sekundärrohstoffe bis zum Jahr 2015 annähernd 20 Milliarden Euro erreichen.

Die gefundene Lösung sei ein Kompromiss, räumt dann auch Horst Meierhofer ein, Umweltexperte der FDP-Bundestagsfraktion. Seiner Darstellung zufolge hätten Kommunen und private Entsorger "mit Bauchschmerzen" zugestimmt. Tatsächlich aber befinden sich Verbände wie der BDE in einer schwierigen Verhandlungsposition, da das neue Gesetz auch vom Bundesrat abgesegnet werden muss. Und die dort vertretenen Länder haben Interesse daran, dass ihre Kommunen ein Stück vom Kuchen abbekommen.

Doch mit ihrer Müllpolitik verärgert die Bundesregierung nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Naturschützer und Opposition. Sie werfen Umweltminister Röttgen vor, ehrgeizige Recycling-Ziele nur vorzutäuschen. Die Bundesregierung trickse, sagt Benjamin Bongardt vom Naturschutzbund Deutschland. "Deutschland will bis 2020 65 Prozent seiner Siedlungsabfälle recyceln und übertrifft damit den EU-Schnitt. Verschwiegen wird aber, das wir schon heute 64 Prozent wiederverwerten." Eine Steigerung von einem Prozent aber sei völlig unzureichend. Bongardt ist sicher: "80 Prozent wären machbar." Ähnlich sieht das die Opposition: "Die Umsetzung des neuen europäischen Abfallrechts durch die schwarz-gelbe Koalition erfolgt zumindest auf niedrigstem Niveau", sagt auch Bärbel Höhn, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag dem Abendblatt. "Deutschland wird seiner bisherigen Vorreiterrolle in der Abfallwirtschaft nicht mehr gerecht." Das Bundesumweltministerium will von solchen Bedenken nichts wissen: "Die pauschale Behauptung, der Gesetzentwurf sei umweltpolitisch wenig ambitioniert, kann nicht überzeugen", erklärt das Ministerium dem Abendblatt. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf werde die Abfallwirtschaft ökologisch fortentwickelt und die EU-Abfallrahmenrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt.

Diese Brüsseler Rahmenrichtlinie hätte die Bundesrepublik eigentlich schon Ende vergangenen Jahres umsetzen müssen. Sie verpflichtet die EU-Staaten, ihre Abfall- und Entsorgungspolitik einer Hierarchie zu unterwerfen: Müll soll zu allererst vermieden werden. Falls das nicht möglich ist, soll er recycelt werden. Wenn auch das nicht möglich ist, soll er verwertet werden, zum Beispiel zur Stromerzeugung in Müllverbrennungsanlagen. Laut Gesetzesnovelle sollen dagegen Recycling und energetische Verwertung - also Verbrennen - gleichrangig behandelt werden. Die Voraussetzung ist, dass der Müll einen Heizwert von 11 000 Kilojoule pro Kilogramm hat, also sehr gut brennt. "Mit diesem Trick - und einem willkürlich ausgewählten Grenzwert - will die Bundesregierung verhindern, dass den Müllverbrennungsanlagen in der Republik der Brennstoff ausgeht", sagt Nabu-Experte Bongardt.

Die Grünen fordern nun, mehr zur Vermeidung von Müll zu tun. "Wir müssen die sinnlose Verpackungsflut eindämmen", sagte die Grünen-Abgeordnete Dorothea Steiner in der Debatte um das neue Abfallgesetz. Ihre Partei schlug eine Umweltabgabe auf Plastiktüten in Höhe von 22 Cent vor. In Irland habe eine Abgabe auf Plastiktüten zu einem Rückgang der Tüten um 90 Prozent geführt, sagte Steiner. "Auf den Meeren treiben auch Plastiktüten aus Deutschland. Damit muss Schluss sein", forderte die Grüne.