Schavan vermisst in der Koalition den Grundton des Wohlwollens. Die SPD diskutiert dagegen über die Chancen sozialliberaler Bündnisse.

Berlin. Ihre Freude offen zu zeigen ging den Sozialdemokraten dann zu weit. Die geschmeichelte SPD erteilte sämtlichen sozialliberalen Koalitionsgedanken - vorerst - eine klare Absage. Nachdem die stellvertretende FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Abendblatt-Interview ihrer Partei eine Öffnung zur SPD empfohlen hatte, erinnerte SPD-Chef Sigmar Gabriel zwar daran, dass die sozialliberalen Zeiten gute Zeiten gewesen seien. Aber auf einen tiefer gehenden Flirt mit der FDP wollte er sich nicht einlassen.

"Das Problem ist, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger in ihre Partei hineinruft und kein Echo haben wird", sagte Gabriel. "Dabei geht es aber nicht um die FDP, sondern um das, was an Politik dahintersteckt. Um den Geist für eine offene Gesellschaft, dass wir uns auch um Bildungsthemen, um den sozialen Zusammenhalt kümmern. Das haben die Liberalen früher gemacht. Das tun sie heute längst nicht mehr." Die FDP habe sich "auf eine neue marktradikale Partei verengt". SPD-Vize Klaus Wowereit nannte Leutheusser-Schnarrenberger "eine kluge Frau", die "für die gute, alte und liberale FDP" stehe. Er könne der FDP nur wünschen, dass sich die Ministerin mit durchsetze. "Doch das ist ein weiter Weg", sagte Berlins Regierender Bürgermeister.

Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Fraktion, Johannes Kahrs, empfahl den Liberalen vorsorglich einen Kurswechsel. "Bevor wir über Koalitionen mit der FDP reden, muss sich die FDP radikal verändern", sagte Kahrs dem Abendblatt. Der Hamburger Abgeordnete betonte, dass es außer der Justizministerin in der FDP keine Sozialliberalen mehr gebe. Er zeigte sich enttäuscht über die inhaltliche Ausrichtung der neuen FDP-Spitze. "Auch die neue Führung bleibt auf dem neoliberalen Westerwelle-Kurs. Wer dachte, die jungen Kräfte um Philipp Rösler würden die FDP verändern, hat sich getäuscht", so Kahrs. "Die neuen Steuersenkungsforderungen zeigen es: alter Wein in neuen Schläuchen." Leutheusser-Schnarrenberger hatte zuvor erklärt, dass sich die FDP nicht einseitig auf die Union ausrichten dürfe. Die FDP sei ein verlässlicher Koalitionspartner. "Aber Fakt ist: Das Parteienspektrum verändert sich." Bis auf die Linkspartei orientierten sich inzwischen alle an der Mitte. "Scheuklappen helfen da nicht."

So sieht es auch der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Christian Ahrendt. Er sprach sich dafür aus, über neue Bündnisse nachzudenken. "Es macht keinen Sinn mehr, wenn sich die FDP ausschließlich an einen Koalitionspartner kettet. Es sollte für uns Liberale eine Selbstverständlichkeit sein, mehrere Koalitionsmodelle in Betracht zu ziehen", sagte er dem Abendblatt. Die FDP habe in den zwei Jahren Koalition mit der Union nicht das umsetzen können, "wofür wir gewählt wurden". Der Abgeordnete und FDP-Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern sagte: "Wir dachten, wir würden unsere Reformvorhaben mit der Union verwirklichen, und sind dabei in eine Falle gelaufen." Wenn man sehe, wie konsequent die Koalition die Energiewende vorantreibe, dann frage er sich, warum sie diese Kraft nicht auch für eine echte Gesundheitsreform und eine nachhaltige Steuerreform habe. Ahrendts enttäuschtes Fazit: "CDU und CSU sind nicht die reformorientierten Kräfte, für die wir sie gehalten haben." Aus der engeren Parteispitze wollte sich vor ihrer Klausur niemand äußern. Parteichef Philipp Rösler zeigte sich zwar, aber nur, um mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im heimatlichen Hannover das große Schützenfest zu besuchen. Auch die CDU fiel durch Schweigen auf.

Die CSU reagierte irritiert auf den Vorstoß der Justizministerin: "Angesichts der Lage der FDP verwundern die Gedankenspiele: Sie spekuliert über künftige Partner, während ihre Partei in Umfragen bei fünf Prozent steht", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller. Wie wenig glücklich man regiere, beschrieb auch die stellvertretende CDU-Vorsitzende Annette Schavan. Dem "Tagesspiegel" sagte die Bildungsministerin, in der Koalition werde zu viel übereinander statt miteinander gesprochen. "Die gute Entwicklung des Landes und die Ergebnisse unserer Politik geraten in den Hintergrund, weil es in der Koalition keinen Grundton des Wohlwollens, sondern einen Mangel an Vertrauen gibt. Das ist unsere Schwäche."