Sachsen-Anhalts Regierungschef Wolfgang Böhmer spricht im Interview über den Fall des Verteidigungsministers und den eigenen Abschied.

Berlin. Mit 75 Jahren ist Wolfgang Böhmer (CDU) der mit Abstand älteste Ministerpräsident Deutschlands. In zwei Wochen, wenn in Sachen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt wird, soll auch ein Nachfolger für den Regierungschef gefunden werden. Der frühere Chefarzt zieht sich aus der Politik zurück. Es ist ein Abschied, der ihm nicht leichtfällt. Im Abendblatt-Interview spricht er über den Wahlkampf, seine Pläne nach der Politik - und über eine zurückliegende politische Woche, die das Verhältnis zwischen CDU und CSU auf die Probe gestellt hat.

Hamburger Abendblatt: Herr Ministerpräsident, nach der Hamburg-Wahl wird als Nächstes in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Sie treten nicht mehr an. Verspüren Sie Abschiedsschmerz?

Wolfgang Böhmer: Im Moment noch nicht. Aber ich fürchte, er wird kommen. Es hängt davon ab, wie sehr ich mich ablenken kann. Ein paar Entzugserscheinungen werde ich wohl haben.

In den Umfragen liegt die CDU vorn. Wie sicher sind Sie, dass Ihre Partei auch in Zukunft den Ministerpräsidenten stellt?

Böhmer: Sicher kann ich erst sein, wenn das Wahlergebnis eindeutig ist. Im Moment kann ich nur hoffen. Noch scheint der Abstand zu SPD und Linkspartei nicht groß genug, um mit Gewissheit zu sagen, dass wir weiter den Ministerpräsidenten stellen.

Welches Ergebnis muss die CDU einfahren?

Böhmer: 35 bis 36 Prozent müssten wir erreichen.

Ihr Wirtschaftsminister Reiner Haseloff ist CDU-Spitzenkandidat - und bundesweit recht unbekannt. Was qualifiziert ihn für das Amt des Regierungschefs?

Böhmer: Er ist derjenige, der die Probleme in Sachsen-Anhalt am besten kennt. Er war in den frühen 90er-Jahren Direktor eines Arbeitsamtes, als die Arbeitslosigkeit noch doppelt so hoch war. Er hat dann als Staatssekretär und Wirtschaftsminister einschlägige Erfahrungen gesammelt, um die soziale und wirtschaftliche Lage des Landes einzuschätzen und anzupacken. Ich denke, all das qualifiziert ihn.

Die SPD könnte statt einer Großen Koalition auch mit der Linkspartei koalieren. Was würde das für Ihr Land bedeuten?

Böhmer: Wir haben schon einmal acht Jahre Rot-Rot erlebt. Wir wissen, was das bedeutet: Stagnation. Solange die SPD eine Koalition mit der Linken nicht ausschließt, müssen wir ihr diese Koalitionsentscheidung zutrauen.

Ihr Abschied von der Politik ist freiwillig, der Abschied von Karl-Theodor zu Guttenberg kam erst auf großen Druck zustande. Wie groß ist der Schaden, den der Ex-Verteidigungsminister mit seiner Plagiatsaffäre angerichtet hat?

Böhmer: Die Öffentlichkeit ist über diese Fragen sehr gespalten. Ich bin der Meinung: Wenn man glaubwürdig sein will, sollte man sich bestimmte Sachen einfach nicht leisten. Wenn alle Vorwürfe zutreffen, die die Universität Bayreuth bislang geäußert hat, dann wird Herr zu Guttenberg noch Konsequenzen zu tragen haben.

Hat er ein Comeback verdient?

Böhmer: Er soll erst einmal entscheiden, ob er überhaupt zurückkommen will. Wenn er zurückkommen will, dann muss man ihm ehrlicherweise auch eine Chance geben. Ich wäre dafür, erst einmal Zeit vergehen zu lassen und dieses Thema ruhen zu lassen.

Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat nach der Kritik von Bundestagspräsident Lammert und Bildungsministerin Schavan an Guttenberg ein Krisengespräch mit Kanzlerin Merkel eingefordert. Haben Sie dafür Verständnis?

Böhmer: Ich weiß nicht, worin die Krise bestehen soll.

Der CSU-Chef findet die CDU nicht solidarisch genug.

Böhmer: Die Solidarität zwischen Schwesterparteien kann nicht über gravierende Vorgänge hinwegsehen.

Fehlt es der Politik an Glanz ohne Guttenberg?

Böhmer: Die Politik braucht nicht unbedingt Glanz. Aber ich frage Sie: Brauchen die Medien vielleicht diesen Glanz in der Politik? Sie sind doch daran interessiert, jemanden mehr oder weniger zum Glänzen zu bringen.

Vielleicht sind es die Wähler, die den Glanz suchen. Für sie war Guttenberg der mit Abstand beliebteste Politiker.

Böhmer: Er hat ja auch einen sehr guten Job gemacht. Das kann niemand bestreiten, völlig unabhängig von seinem Rücktritt.

Herr Böhmer, Sie sind 75 Jahre alt und einer der dienstältesten Ministerpräsidenten des Landes. Was unterscheidet Sie von der jungen Politiker-Generation?

Böhmer: Ich habe aus der Sicht der Jüngeren möglicherweise etwas altväterliche Vorstellungen. Ich finde das nicht unnormal.

Brauchen Politiker Twitter und Facebook, um zeitgemäß zu kommunizieren?

Böhmer: Ich bin gut ohne Handy und Internet ausgekommen. Aber meine Mitarbeiter nutzen diese Mittel, und darauf kann ich zurückgreifen.

Ihren letzten großen bundespolitischen Auftritt hatten Sie als einer der Verhandler im Hartz-IV-Streit. Sind Sie zufrieden mit sich und dem Ergebnis?

Böhmer: Ich habe meine Rolle nicht als großen bundespolitischen Auftritt gesehen. Ich betrachte die Politik nicht als Theaterbühne. Ich habe mich bemüht, eine Konsenslösung zu finden, und das ist gelungen.

Sie haben das Thema "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Leiharbeit am Ende ausgelagert. Was müssen Regierung und Opposition jetzt tun - auch wenn Sie persönlich nicht mehr dabei sind?

Böhmer: Die Politik muss alle Beteiligten der Leiharbeit anhören, bevor sie eine Entscheidung trifft. Damit meine ich Leiharbeiter selbst und die Firmen, die die Leiharbeiter vermitteln. Die Zunahme der Leiharbeit lässt mich befürchten, dass dieses Instrument zu häufig in Anspruch genommen wird.

Nach wie vielen Monaten muss es gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben?

Böhmer: Ich halte einen Kompromiss, der irgendwo zwischen drei und sechs Monaten liegt, für richtig.

Ein Blick zurück auf Ihre neun Jahre als Regierungschef: Was macht Sie stolz?

Böhmer: Das war ja nicht allein meine Leistung. Ohne die Hilfe anderer hätte ich nichts geschafft. Wir haben die Arbeitslosigkeit halbiert, wir haben bei einem wirtschaftlichen Aufschwung mithelfen können und auch schwierige Reformen durchgesetzt. An diesen Leistungen war ich ein bisschen beteiligt.

Demnächst werden Sie Privatmann sein. Was stellen Sie mit Ihrer Freizeit an?

Böhmer: Ich habe noch keine konkreten Pläne. Ich habe lange keinen ordentlichen Urlaub gemacht. Danach ist mir schon zumute. Ich habe mir viele gute Bücher gekauft, die ich endlich lesen möchte. Ich habe einen Garten, in dem ich mal wieder etwas tun müsste. Ich will mich wieder mehr körperlich betätigen. Viele sagen, das soll gesund sein.