Über vier Monate harrten die Reporter Marcus Hellwig und Jens Koch in iranischer Haft aus. Gestern früh landeten sie wieder in Berlin.

Berlin. Es ist fünf Uhr morgens, als der schneeweiße Regierungsjet mit schwarz-rot-goldenem Streifen auf dem Berliner Militärflughafen Tegel aufsetzt. Als sich die Tür des Fliegers mit dem Bundesadler öffnet, brandet am Boden Applaus einer kleinen Gruppe Angehöriger auf, die über vier Monate auf diesen Moment gewartet hatte. Nach 133 Tagen Haft im Iran betraten die "Bild am Sonntag"-Reporter Jens Koch und Marcus Hellwig gestern Morgen wieder deutschen Boden.

Fotograf Koch lächelte still in sich hinein, als er im grauen Pulli und blauer Jeans die Gangway an der Seite seines Kollegen herunterschritt. Nur ein schwarzer Schal schützte ihn gegen die nächtliche Kälte. Sein Kollege Hellwig, dunkle Jeans, schwarzer Pullover, dunkle Jacke, wirkte angegriffen - und klatschte dennoch wie ein Fußballer nach einem großen Sieg.

Es war ja auch der Sieg seines Lebens. Der Sieg über Todesängste. Gemeinsam errungen mit seinem Weggefährten Jens Koch. Den hatten sie letztlich dem Mann zu verdanken, der ihnen an diesem Morgen den Vortritt auf der Gangway ließ: Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der in langen und schwierigen Verhandlungen die Freilassung erreicht hatte. Beteiligt waren an der Rettungsmission indes viele - vor allem die Redaktion von "Bild am Sonntag", die eine der größten Solidaritätsaktionen für Journalisten in der deutschen Pressegeschichte angeschoben hatte. Sogar die vier Altbundespräsidenten Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Horst Köhler appellierten an die iranische Regierung, die Reporter freizulassen.

Ihr "Verbrechen" war schlicht die Suche nach Wahrheit. Koch und Hellwig reisten in den Iran, um ein Interview mit dem Sohn der wegen Ehebruchs zum Tode durch Steinigung verurteilten Sakine Aschtiani zu führen. Während des Gesprächs in dem Büro von Aschtianis Anwalt Houtan Kian wurden beide von iranischen Sicherheitskräften festgenommen. Vorgeworfen wurde ihnen zunächst ein Visa-Vergehen.

Was vergleichsweise harmlos klang, mündete in einem Drama. Denn kurz vor Weihnachten war plötzlich von Spionage-Vorwürfen seitens iranischer Justizkreise die Rede, ein Vergehen, das im Iran sogar mit der Todesstrafe geahndet werden kann.

Was Hellwig und Koch an einem geheimen Ort im iranischen Täbris durchgemacht haben, lässt sich nur erahnen. Denn öffentliche Auftritte soll es vorerst nicht geben. "Beide Kollegen sind überglücklich und zugleich sehr erschöpft. Ihre Bitte ist, sie nach dieser schweren Zeit zur Ruhe kommen zu lassen", sagte "BamS"-Chefredakteur Walter Mayer.

Und diese Zeit der Erholung werden sie brauchen. Für beide waren die Monate traumatisch, zumal sie die ersten Wochen in Einzelhaft verbringen mussten. Hoffnung gaben vor allem Briefe ihrer Angehörigen. "Bleib weiter so tapfer und stark wie bisher", schreiben etwa die Eltern von Jens Koch. Im Brief der Schwestern von Marcus Hellwig an ihren Bruder, der in der Haft seinen 45. Geburtstag verbringen musste, heißt es: "Wir öffnen jeden Tag ein Türchen des Adventskalenders in der Hoffnung, mit Dir gemeinsam das Fest der Liebe feiern zu können."

Der Wunsch blieb unerfüllt. Erst nach Weihnachten durften sie ihre Verwandten in einem Hotel in Täbris in die Arme schließen. Zehn Stunden währte das Wiedersehen, dann wurden Koch und Hellwig wieder ins Gefängnis verfrachtet.

In dieser Zeit konnten sie sich auf ihre Kollegen verlassen, die Woche für Woche über ihr Schicksal berichteten. Beide Reporter sind in ihrer Redaktion anerkannt und beliebt. Koch, 29, gilt in der Szene als herausragender Porträt-Fotograf. Auch für das Abendblatt, das ebenfalls im Verlag Axel Springer erscheint, hat er Politiker und Künstler abgelichtet. "Ein sehr umgänglicher uneitler Fotograf", sagen Kollegen, die mit ihm Reportagen gemacht haben. Der geborene Leipziger wollte eigentlich in der Gastronomie als Hotelkaufmann arbeiten, machte dann aber doch sein Hobby zum Beruf. Marcus Hellwig stammt aus Wuppertal, spezialisierte sich nach seinem Volontariat 1990 bei Axel Springer vor allem auf Geschichten aus den Neuen Bundesländern. Nach Zwischenstationen kehrte er 2009 zu "Bild am Sonntag" zurück, arbeitete seitdem als Reporter für die Nachrichtenredaktion, immer auf der Suche nach spannenden Geschichten.

Haben beide zu viel bei ihrer Iran-Mission riskiert? Auf diese Frage antwortete Kurt Kister, Chefredakteur der "Süddeutschen Zeitung", so: "Als Reporter, der in einem dieser Gefängnis-Staaten mehr oder weniger verdeckt recherchiert, kennt man die Gefahr. Wenn aber alle deswegen das Recherchieren unterlassen, dann erfüllt sich das Kalkül der Öffentlichkeitsverhinderer." Wie recht Kister mit dieser Einschätzung hat, zeigt auch der Fall von Sakine Aschtiani. Nach Einschätzung von Experten hat sie vor allem der öffentliche Druck vor der Hinrichtung bewahrt. Ein Druck, der durch die Anteilnahme der Medien an dem Schicksal der beiden "BamS"-Reporter verstärkt wurde.

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, würdigte die Solidarität: "Ich danke allen, die leise hinter den Kulissen oder laut in aller Öffentlichkeit dazu beigetragen haben, für ihre Unterstützung."

Der Vater von Jens Koch kann das plötzliche Glück kaum fassen. Als er den erlösenden Anruf erhielt, habe er "hemmungslos geweint". Das Gefühl der Ohnmacht sei das Schlimmste gewesen: "Man will etwas für den Jungen tun und kann nicht. Der größte Halt war der Kontakt zum Auswärtigen Amt und zum Springer-Verlag."

133 Tage Haft sind vorbei. Und das Versprechen von Walter Mayer gilt: "Wir werden alles tun, um sie bei der Rückkehr in ihren Beruf und einen normalen Alltag zu unterstützen."