BDI-Präsident Keitel kritisiert im Hartz-IV-Streit “Wahlkampfattitüde“. Am Sonntag findet in Hamburg die erste von sieben Landtagswahlen statt.

Berlin. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, hat Regierung und Opposition wegen ihres monatelangen Streits um die Hartz-IV-Reform scharf kritisiert. Er erwarte, dass beide Seiten "zu einer schnellen und verantwortlichen Lösung kommen. Bei gutem Willen hätte längst eine Einigung erzielt werden können", sagte Keitel dem Hamburger Abendblatt. "Es kann doch nicht sein, dass sich die Parteien in einer wichtigen Sachfrage über Monate hinweg eine Schönheitskonkurrenz um taktische Positionen liefern." Sie sollten "ernsthaft daran arbeiten, die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen". Die Karlsruher Richter hatten gefordert, die Leistungen für Langzeitarbeitslose bis zum 31. Dezember 2010 nachvollziehbar zu berechnen.

Die Politik verspiele Vertrauen, wenn sie den Eindruck erwecke, dass sie Sachfragen "nicht frei von Wahlkampfattitüde" diskutieren könne, warnte Keitel. Am kommenden Sonntag findet in Hamburg die erste von sieben Landtagswahlen in diesem Jahr statt. Es gebe genügend zu tun in Deutschland, hob der Industriepräsident hervor. "Wir sind gerade raus aus der Krise." Er forderte, "die Kräfte darauf zu konzentrieren, wie wir in Deutschland dauerhaft mehr Wohlstand schaffen".

Bundestagspräsident Norbert Lammert rief die Beteiligten zur Kompromissbereitschaft auf. Dies gelte auch für seine eigene Partei, sagte der CDU-Politiker am Sonntag dem Radiosender NDR Info. Letztlich müsse eine Lösung gemeinsam vertreten werden. Sie werde aber verhindert, wenn die Parteien auf ihren jeweils für richtig gehaltenen Positionen beharrten. Lammert zeigte Verständnis für die Unzufriedenheit der Bürger angesichts der Dauer der Verhandlungen. Der Parlamentspräsident wies aber auch darauf hin, dass sich die Parteien gerade deshalb nicht einigen könnten, weil sie der Wählererwartung nachkämen, mehr Profil zu zeigen.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der sich am 27. März zur Wiederwahl stellt, will die Verhandlungen zur Sache der Länderchefs machen. "Um zu einer zügigen Einigung zu kommen, wollen wir die Verhandlungsführung auf der Ebene der Ministerpräsidenten halten", sagte der SPD-Politiker zu "Bild am Sonntag". Er wolle mit seinen Kollegen in Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), und Bayern, Horst Seehofer (CSU), jetzt die Verhandlungen leiten, erklärte Beck. Er sei zuversichtlich, dass die bislang von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und SPD-Vizechefin Manuela Schwesig geführten Verhandlungen noch im Februar zu einem Abschluss gebracht werden können. "Dann bietet sich eine Sondersitzung des Bundesrats an, um die Hartz-IV-Reform zum 1. März zu beschließen."

Schwesig wies im Deutschlandfunk Forderungen zurück, in der neuen Vermittlungsrunde die Regelsatzerhöhung um fünf Euro nicht mehr zur Debatte zu stellen und sich allein auf die Höhe von Sonderzahlungen zu beschränken. "Es kann nicht sein, dass jetzt wieder ein Verhandlungspartner kommt und sagt: Das ist ein Tabu, das gibt es nicht", so Schwesig.

Die FDP plädierte dafür, auch ohne eine Einigung mit der SPD das von der schwarz-gelben Koalition beschlossene, um fünf Euro höhere Arbeitslosengeld II auszuzahlen. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sagte dem "Spiegel", die Verhandlungstaktik der SPD dürfe nicht zulasten der Bedürftigen gehen. "Es ist wichtig, dass diejenigen, die das Geld brauchen, es auch bekommen." Das Geld sei im Haushalt eingestellt. "Damit gibt es eine gesetzliche Grundlage." Homburger stellt sich damit gegen von der Leyen, die ein solches Vorgehen als unrechtmäßig ablehnt.