Im Bericht der Marine soll von Übergewicht der Verunglückten die Rede sein. Der Anwalt der Mutter spricht von einer falschen Gewichtsangabe.

Hamburg. Die im November auf dem Marine-Schulschiff „Gorch Fock“ tödlich verunglückte Offiziersanwärterin aus Niedersachsen soll nicht übergewichtig gewesen sein. Die junge Frau habe nicht 83, sondern gut 60 Kilo gewogen, sagte der Hamelner Anwalt Thomas Kock am Dienstag. Der Jurist vertritt die Mutter der verunglückten Kadettin.

„Ich platze vor Wut. Ein angebliches Gewicht von 83 Kilo ist völlig an den Haaren herbeigezogen“, sagte die Mutter der Kadettin der in Hameln erscheinenden „Deister- und Weserzeitung“. Eine Woche vor dem Unglück sei ihre Tochter noch bei ihr zu Hause in Bodenwerder gewesen, betonte Angelika S. in dem Bericht. Ihr als Mutter hätte doch auffallen müssen, wenn sie so deutlich zugenommen hätte. „Ich kenne doch mein Kind. Sie war ganz normal bei ihrem Besuch. Sarah war topfit und sportlich. Sie hat immer um die 55 bis 58 Kilo gewogen.“ Wo die unzutreffende Gewichtsangabe herkomme, sei ihm unklar, sagte der Hamelner Anwalt Thomas Kock der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag. Der Jurist vertritt die Mutter der verunglückten Kadettin.

Bisher habe er bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Kiel keine Akteneinsicht erhalten. Medien hatten berichtet, Sarah S. sei wegen angeblichen Übergewichts nicht borddiensttauglich gewesen. Dass Sarah S. möglicherweise wegen ihrer vergleichsweise geringen Körpergröße von 1,58 Metern für den Dienst auf dem Schulschiff ungeeignet gewesen sein könnte, „steht auf einem anderen Blatt“, sagte Kock. Informationen darüber habe er noch nicht. Der Tod der Kadettin sei allerdings die Folge eines Ausbildungsfehlers gewesen. „Sie war ziemlich erschöpft“. Vor dem tödlichen Sturz habe sie mehrfach „rauf- und runterentern“ müssen.

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Die Kieler Staatsanwaltschaft hatte am Montag bestätigt, dass auch die "Borddienstverwendungsfähigkeit" der im November tödlich verunglückten Offiziersanwärterin Sarah Lena S. in die Ermittlungen einbezogen worden ist. Denn an der Einsatzfähigkeit der 25-Jährigen gibt es inzwischen große Zweifel. Wie die "Bild" berichtet, war die Kadettin zum Zeitpunkt des Unfalls nicht borddiensttauglich.

Die Zeitung zitiert aus einem Untersuchungsbericht der Marine. Demnach soll S. zum Zeitpunkt des Unfalls in einem mangelhaften körperlichen Zustand gewesen sein. "Weiterhin ist festzustellen, dass S. aufgrund ihres Körpergewichts am Unfalltag zusätzlich nicht borddienstverwendungsfähig gewesen wäre. Die Obduktion ergab ein Körpergewicht, welches in Relation zur Körpergröße eine Borddienstverwendungsfähigkeit ausgeschlossen hätte." Nach "Bild"-Informationen hat S. am Unfalltag bei einer Größe von1,58 Metern 83 Kilogramm gewogen.

Die junge Soldatin war am 7. November 2010 bei einer Übung an Bord des Segelschulschiffs aus 27 Metern auf das Deck gestürzt. Sechsmal musste sie das anstrengende Aufentern in die Takelage üben. Als ihre Ausbilder sie zum siebten Mal in die Takelage schickten, geschah das Unglück. Im Krankenhaus erlag die Kadettin ihren schweren Verletzungen. Die Mutter von Sarah Lena S. hatte den Ausbildern schwere Vorwürfe gemacht und Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet.

Nach Abendblatt-Informationen hatte die junge Frau vor ihrer Ausbildung auf der "Gorch Fock" 15 Kilo zugenommen. Warum die massive Zunahme des Körpergewichts nicht erkannt wurde, soll nun untersucht werden. Aus dem Untersuchungsbericht geht nach "Bild"-Informationen hervor, dass S. aufgrund ihrer geringen Körpergröße eine Ausnahmegenehmigung erhalten hatte, die jedoch nicht für den Einsatz auf der "Gorch Fock" gültig gewesen ist.

S. selbst hatte im vergangenen Sommer gegenüber einer Journalistin angedeutet, dass ihre Zulassung zur Offiziersausbildung fast an ihrem hohen Gewicht gescheitert wäre. Offenbar hat kurz vor dem Tod der Offiziersanwärterin auch ein Ausbilder sein "schlechtes Bauchgefühl" zum Ausdruck gebracht. Laut "Bild" heißt es in dem Marine-Bericht: "Nach seiner Einschätzung hielt er es nicht für ratsam, Frau S. nochmals aufentern zu lassen. Seiner Einschätzung nach hatte sie Schwierigkeiten und sollte im unteren Bereich bleiben."

An Bord des Schiffes laufen unterdessen die Untersuchungen der von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingesetzten Kommission zu den Meuterei-Vorwürfen und möglichen Verfehlungen der Stammbesatzung weiter. Die "Gorch Fock" befindet sich auf der Heimreise nach Deutschland, Ende April wird sie in Kiel erwartet.

Zu den neuen Vorwürfen wollte das Verteidigungsministerium gestern nicht Stellung nehmen. Ein Sprecher erklärte auf Abendblatt-Anfrage, dass sämtliche Dokumente an die Staatsanwaltschaft übergeben worden seien und dass das Ministerium zu laufenden Ermittlungen keinen Kommentar abgebe.

Guttenberg hatte seinen rund 3100 Mitarbeitern erst gestern ein Konzept für den Umbau seines Hauses vorgestellt. Danach sollen von 17 Abteilungen des Ministeriums nur acht übrig bleiben, die beiden Standorte in Bonn und Berlin aber erhalten werden.