Drei Monate vor ihrem Tod auf der “Gorch Fock“ gab Sarah Lena Seele in einem Interview Einblick in ihr Leben als Offiziersanwärterin.

Hamburg. Die Sonne scheint über der Marineschule Mürwik in Flensburg. Das Marinemusikkorps Nordsee spielt Märsche. Der Bundespräsident ist da. Christian Wulff sagt: "Was Sie erwartet, sind die Gefahren der See und die vielfältigsten Herausforderungen des Einsatzes." 250 Marineoffiziersanwärter werden an diesem 13. August 2010 vereidigt. Auch Sarah Lena Seele.

Sie ist eine hübsche junge Frau, blond, etwas kräftig. Sie steht aufrecht, sie schaut selbstbewusst. Vor ihr liegt die Offiziersausbildung bei der Marine. Es ist eine Begegnung, die im Nachhinein betroffen macht. Es ist das letzte Gespräch mit einer Journalistin, dessen Inhalt jetzt exklusiv im Abendblatt veröffentlicht wird. Am Tag der Vereidigung kann Sarah Lena Seele die "Gorch Fock" sehen, denn das Ausbildungsschiff liegt zur Feier des Tages vor der Marineschule Mürwik. Am 7. November 2010 wird Seele auf diesem Schiff sterben. Der Tod der 25-Jährigen und weitere Vorkommnisse an Bord werden dazu führen, dass Kapitän Norbert Schatz von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg seiner Pflichten entbunden wird. Und dass der Minister selbst in Bedrängnis gerät.

"Ich habe hart gekämpft, um dahin zu kommen, wo ich nun bin", sagt Sarah Lena Seele am Tag ihrer Vereidigung. Sie ist im niedersächsischen Bodenwerder aufgewachsen, hat eine Lehre in einem Supermarkt gemacht. Doch das Regale-Einräumen langweilte sie. Danach hat sie eine Ausbildung zur Kommunikationskauffrau gemacht. "Bild am Sonntag" berichtet, dass sich Seele 2009 für acht Jahre bei der Marine verpflichtet hat, im vergangenen Jahr diente sie zum ersten Mal auf einem Marineschiff, im Einsatz gegen somalische Piraten.

Für die Offiziersausbildung zugelassen zu werden sei nicht einfach gewesen, sagt sie. Die Ausbilder hätten an ihrer Fitness gezweifelt, weil sie zuletzt 15 Kilo zugenommen habe. Dass sie es trotzdem geschafft habe, sei für sie eine Bestätigung. "Mein Leben war nicht einfach." Ihre Mutter war alleinerziehend, Sarah Lena wuchs bei ihr und der Großmutter auf. Während viele ihrer Kameraden bei der Vereidigung von ihren Familien begleitet werden, ist Seele allein. "Ich habe mich vorher schon von meiner Mutter verabschiedet", sagt sie.

Der Gefahren auf See ist sie sich bewusst. Schließlich hat es damals schon mehrere Todesfälle auf der "Gorch Fock" gegeben, zuletzt war die 18-jährige Offiziersanwärterin Jenny Böken im Jahr 2008 von Bord gegangen und ertrunken. Ob sie Angst hat? "Nein. Passieren kann überall etwas. Und ich habe mich mit Leib und Seele dafür eingesetzt, hierher zu kommen", sagt sie. Sie will sicher wirken, aber man merkt ihr dennoch eine gewisse Unruhe an. "Soll ich jetzt noch umkehren?", fragt sie. Sie kann nicht.

Was Seele an Bord der "Gorch Fock" erlebt, hat der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, in Gruppen- und Einzelgesprächen mit ihren Kameraden später so genau wie möglich rekonstruiert.

Am 5. November 2010 geht Sarah Lena Seele mit anderen Kadetten in Salvador da Bahia, Brasilien, an Bord der "Gorch Fock". Erst um 2 Uhr dürfen sie schlafen. Am Tag danach müssen sie praktische Übungen machen, darunter das Aufentern in die Wanten - also das Aufsteigen in die Takelage. "Aufgrund der Gesamtumstände (Jetlag, schlechter Schlaf im Flugzeug und in den Hängematten, klimatische Umstellung) sei dies sehr anstrengend gewesen", steht in dem Bericht. Als der Unfall geschieht, sind die Kadetten bereits sechsmal auf- und abgestiegen, unterbrochen nur von einer 15- bis 20-minütigen Pause. "Vor dem siebenten Aufentern seien viele körperlich erschöpft gewesen. Die weiblichen OA (Offiziersanwärter, d. Red.) berichteten in der gesondert geführten Gesprächsrunde, die Arme hätten teilweise gezittert, die Hände seien durch Schweiß und Sonnencreme glitschig gewesen." Beim siebten Mal Aufentern stürzt Sarah Lena Seele aus 27 Metern ab und prallt aufs Deck. Erst am nächsten Tag erfahren die Kadetten, dass ihre Kameradin tot ist.

Kapitän Norbert Schatz sei aus einem Urlaub auf die "Gorch Fock" zurückgekehrt. Er habe ihren Tod mitgeteilt und den Unfall mit einem "Autounfall oder Flugzeugabsturz verglichen". Die Kadetten müssen das Holz entsorgen, auf das sie gestürzt war.

Die Mutter von Sarah Lena Seele erhebt schwere Vorwürfe. "Wie konnten die Vorgesetzten Sarah so hoch in die Wanten schicken, obwohl sie noch gar nicht richtig angekommen war?", sagte Angelika Seele dem "Spiegel". Die letzten Worte ihrer Tochter an sie: "Weihnachten sehen wir uns wieder."

Sarah Lena Seele wollte bald mit der Seefahrt aufhören. Bei ihrer Vereidigung hat sie gesagt, sie könne sich vorstellen, Leuchtturmwärterin zu werden. Weil sie das Meer so liebt. Das Schlafzimmer ihrer Wohnung in Schleswig-Holstein hat sie blau gestrichen. Die Farbe des Meeres.