Kirche, Drogen, Grundeinkommen – die Internet-Aktivisten sprechen breite Wählerschichten an. Die Piratenpartei gibt sich ein Programm.

Beröin. Vier Jahre nach ihrer Gründung kommt die Piratenpartei am Wochenende in Chemnitz zu ihrem ersten Programmparteitag zusammen. Mit einer Erweiterung des Programms sollen neue Wähler angesprochen werden. Mit dem Plädoyer für ein freies Internet hat die Piratenpartei vor gut einem Jahr auf Anhieb zwei Prozent bei der Bundestagswahl geholt . Nun will sich die größte außerparlamentarische Oppositionspartei in Deutschland breiter aufstellen und raus aus der Ein-Themen-Ecke. Beim Parteitag geht es auch um die Trennung von Staat und Kirche, Drogenpolitik oder die Idee eines Grundeinkommens für alle.

„Wir wollen im nächsten Jahr die Fünfprozenthürde in den Bundesländern knacken“, sagt der politische Geschäftsführer Christopher Lauer. „Aber das ist kein Automatismus, sondern viel harte Arbeit“. Die fängt in Chemnitz mit der Gestaltung der Tagesordnung an. Parteitagsteilnehmer sollen zunächst aus einer Liste von 24 inhaltlich sortierten Antragsgruppen drei auswählen, die nach ihrer Ansicht vorrangig behandelt werden sollen. Die Anzahl der Stimmen bestimmt die Reihenfolge, in der die Antragsgruppen behandelt werden. Das Ergebnis der Abstimmung ist bereits eine Vorentscheidung über den künftigen Kurs. Denn eine Strömung der Piraten gehört zu den „Kernis“: Geht es nach ihnen, sollte sich die Partei auf ihre Kernthemen konzentrieren, sich also vornehmlich Antragsgruppen wie Internet und Medien oder dem Datenschutz widmen – und die Finger weg lassen von Themen wie Drogenpolitik, Einwanderung oder Nato.

„Die Piratenpartei sollte zum einen ihre Hauptthemen der globalen Informationsgesellschaft und der Bürgerrechte programmatisch weiter vertiefen“, sagte der Bundesvorsitzende Jens Seipenbusch auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa. „Zum anderen wollen wir uns auf dieser Basis auch weitere politische Themenbereiche erschließen.“ Welche das im Einzelnen seien, werde auf Parteitagen entschieden. „Der programmatische Ausbau in dieser Richtung wird auch noch einige Zeit benötigen.“

Eine Erweiterung des Programmspektrums der Piratenpartei sei eine zweischneidige Angelegenheit, erklärt der Parteienforscher Jürgen Falter. „Sobald man das einigende Band durch andere Programmpunkte relativiert, wird mancher Anhänger der Piratenpartei entdecken, dass ihm der eine oder andere zusätzliche Programmpunkt überhaupt nicht passt, dass er sich dort bei anderen Parteien möglicherweise besser aufgehoben fühlen wird.“

Mit der Stimmung in der Partei ist es zurzeit nicht zum Besten bestellt. Das Vorbild schwedische „Piratpartiet“, neun Monate vor der Piratenpartei Deutschland im Januar 2006 gegründet, kam bei der Parlamentswahl im September nur auf 0,65 Prozent – nach 7,1 Prozent bei der Europawahl 2009. Und in Deutschland geriet der auf dem Parteitag im Mai in Bingen gewählte Bundesvorstand ins Gerede. Mit Blick auf den Vorsitzenden Seipenbusch war auf Twitter schon vom „Seipenputsch“ die Rede.

Nicht nur deswegen sind Verlauf und Ergebnisse des Chemnitzer Parteitags kaum vorhersehbar. Im Unterschied zu anderen Parteien gibt es keine Delegierten. Jedes der mehr als 12 000 Mitglieder kann nach Chemnitz kommen und mit abstimmen. Erwartet werden 800 bis 1000 Teilnehmer.

Welche Chancen hat die Partei nun bei den Landtagswahlen 2011 in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern? Der Mainzer Politikwissenschaftler Falter hält sie für „äußerst gering“. Das Überraschungsmoment und die Attraktivität des Neuen seien vorbei, auch fehle es an farbigen, überzeugenden Führungspersönlichkeiten. Viele potenzielle Anhänger werden sich nach Ansicht Falters „gerade jetzt bei den Grünen besser aufgehoben fühlen, die ja ebenfalls teilweise libertäre Positionen vertreten.“