Nach den Rückzügen von Erika Steinbach und Thilo Sarrazin hat die Debatte um eine Partei rechts von der Union an Fahrt gewonnen.

Berlin/Hamburg. "Die Freiheit" prangte hinter dem Podium in fetten Buchstaben auf einem hellblauen Plakat. Davor saß René Stadtkewitz. Er gestikulierte in die Kameras und sprach von der "Hetzjagd" gegen den Noch-Bundesbanker Thilo Sarrazin, nur weil er eine abweichende Meinung vertreten habe. "Das Volk will den erhobenen Zeigefinger der Politik nicht mehr", sagte er. Der Berliner Ex-CDU-Abgeordnete will den von den etablierten Parteien frustrierten Nichtwählern eine neue politische Heimat bieten.

Der radikale Islamkritiker und Pankower Abgeordnete war am Dienstag aus der Berliner CDU-Fraktion ausgeschlossen worden, weil er längere Zeit mit der Neugründung einer Partei in Konkurrenz zur CDU geliebäugelt hat. Zudem verweigerte Stadtkewitz die Aufforderung von CDU-Fraktionschef Frank Henkel, den niederländischen Rechtspopulisten und Islamhasser Geert Wilders von einer Veranstaltung am 2. Oktober in Berlin wieder auszuladen.

Noch-Bundesbanker Thilo Sarrazin (SPD) würden laut Umfragen knapp 18 Prozent wählen, wenn dieser eine eigene Sarrazin-Partei gründete. René Stadtkewitz ist weit weg von diesen 18 Prozent. Und doch verleiht er der Sorge in der Union ein Gesicht, die Partei könnte ein ähnliches Schicksal wie die SPD mit der Gründung der Linkspartei erleiden. Einer Partei rechts von der Union werde ein Zulauf von bis zu 20 Prozent zugetraut, heißt es. Und der angekündigte Rückzug von Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach aus dem Bundesvorstand der CDU heizt die Debatte über ein schwindendes konservatives Profil in der Partei an.

+++ Konservative in Union warnen vor Rechtspartei +++

Steinbachs Bemerkung, dass sie es auch leider nicht ändern könne, "dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat", war aus der Fraktionsklausur der CDU nach außen getragen worden und hatte ihr heftige Kritik wegen Geschichtsrevisionismus eingetragen. In der Klausur ging es Steinbach aber weniger um den Zweiten Weltkrieg als vielmehr um das Erscheinungsbild ihrer Partei.

+++ Europas Rechtspopulisten +++

Sie nahm Sarrazin in Schutz und ihn zum Anlass, um auf die von ihr ausgemachten Defizite in der Union zu kommen. Zusammengefasst beklagte sie aufgewühlt den Verlust konservativer Identität und Solidarität in der CDU. Am Ende sah sie sich quasi als Vertriebene aus der CDU-Heimat und kündigte den Rückzug aus dem Vorstand an. Steinbachs Prognose: Der Partei wird es schlecht bekommen, wenn sie keine konservativen Aushängeschilder mehr hat. Schon seit Monaten köchelt in der Union die Frage, wie die mitunter "Mitte-links" eingestufte Parteichefin Merkel konservative Christdemokraten einbinden und die Gefahr der Gründung einer Partei rechts der Union verhindern will.

Wobei sich die meisten Protagonisten vehement dagegen wehren, konservativ und rechts gleichzusetzen. Denn Rechtsradikalismus werde niemals in der CDU einen Platz haben, heißt es in der CDU-Spitze. Das Problem wird aber umso größer, je mehr Konservative sich zurückziehen, ihre Wähler nicht mehr wählen gehen - oder sie sich nach einem neuen politischen Heim umsehen.

Während die Union über den Fall Steinbach diskutiert, treibt der Berliner SPD-Landesverband das Ausschlussverfahren gegen den umstrittenen Bundesbanker Thilo Sarrazin voran. Der frühere SPD-Fraktionschef Peter Struck sieht einen Parteiausschluss skeptisch. Es wäre besser, das SPD-Mitglied wegen seiner Thesen über Zuwanderer zu ignorieren, statt gleich "die große Keule" herauszuholen, sagte er.

+++ Meinung: Steinbach und Sarrazin - Märtyrer unter sich +++

Als Provokateure gelten Thilo Sarrazin und Erika Steinbach vielen nicht erst seit den vergangenen Tagen. Der Göttinger Politologe Peter Lösche sieht ein Problem der Entfremdung vor allem der Volksparteien von ihren Wählern. Dies zeige sich bei der öffentlichen Aufregung um die Äußerungen Sarrazins und Steinbachs: "Die Verbindung zu den Gefühlen in der Gesellschaft ist großenteils verloren gegangen", sagt Lösche. Aber werden sich nach dem Rückzug Steinbachs die als treue Unionsklientel geltenden zwei Millionen Mitglieder des Bundes der Vertriebenen (BdV) enttäuscht von CDU und CSU abwenden? "Ich sehe nicht, dass es eine Partei rechts von CDU und CSU geben sollte", sagt der Vertriebenen-Experte Samuel Salzborn. Dabei verweist er darauf, dass es nach dem Ende der in den 60er-Jahren aufgelösten Vertriebenen-Partei Gesamtdeutscher Block, die 1953 mit 5,9 Prozent Zweitstimmen in den Bundestag eingezogen war, mehrere Versuche zur Gründung einer neuen Vertriebenen-Partei gab. All diese Versuche seien "kläglich gescheitert".