Schwerverbrecher sollen in neue Therapie-Einrichtungen kommen. Grünen-Fraktionschefin Künast: Konzept wurde mit heißer Nadel gestrickt.

Berlin. Im koalitionsinternen Streit über die sichere Unterbringung gefährlicher Straftäter nach ihrer Haft haben Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gestern überraschend einen Kompromiss vorgestellt. Straftäter in Sicherungsverwahrung, die nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs eigentlich entlassen werden müssten, sollen demnach auch künftig geschlossen untergebracht werden. Dafür soll eine neue Form von Einrichtungen für psychisch gestörte Gewalttäter geschaffen werden, wie dies zuvor von de Maizière und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gefordert worden war.

Es werde "etwas anderes als Strafhaft, aber auch etwas anderes als die Unterbringung psychisch Kranker" für diese Menschen geschaffen, sagte de Maizière. "Der Schwerpunkt liegt auf der Therapierung", fügte Leutheusser-Schnarrenberger hinzu. Für den Vollzug sind die Bundesländer zuständig. Die Planungen für diese Altfälle ergänzen die bereits vor der Sommerpause vorgelegten Planungen der Justizministerin zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung. Nach den Worten der Ministerin wird weiterhin an der Möglichkeit festgehalten, freigelassene Täter mit sogenannten elektronischen Fußfesseln zu überwachen - ihr ursprünglicher Plan, das Problem allein mit diesen elektronischen Fußfesseln zu lösen, war auf den scharfen Widerstand der Union gestoßen.

Mit dem nun gefundenen Kompromiss reagiert die Koalition nach wochenlangen Debatten auf ein Urteil des Straßburger Gerichtshofs, der entschieden hatte, dass die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Leutheusser-Schnarrenberger sagte, es müsse noch geprüft werden, ob die neue Form der Unterbringung auch noch auf jene 16 Straftäter angewendet werden könne, die in den vergangenen Wochen in Folge des Straßburger Richterspruchs bereits freigekommen waren. Bei der Sicherungsverwahrung bleiben Täter, die als besonders gefährlich gelten, auch nach dem Ende ihrer Haftzeit weggesperrt.

Darüber hinaus einigte sich die Koalition auch allgemein auf eine Reform der Sicherungsverwahrung, die jedoch nur für künftige Fälle gilt. Danach soll die sogenannte "vorbehaltene Sicherungsverwahrung" ausgebaut werden, wie der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, Wolfgang Bosbach (CDU), mitteilte. Das bedeutet, dass sich ein Richter im Urteil die Entscheidung über eine Sicherungsverwahrung offenhalten kann. Die Frist, um dies endgültig anordnen zu können, soll bis auf das Vollzugsende der Haft geschoben werden.

Strittig ist aber weiterhin die Sicherungsverwahrung, die erst nachträglich verhängt wird. Während Leutheusser-Schnarrenberger diese wegen juristischer Bedenken ganz abschaffen will, will die Union zumindest "eine Form" der nachträglichen Sicherungsverwahrung beibehalten - wie genau, ist noch unklar. Die Lösung dieses Problems wurde daher bei den Verhandlungen vertagt. Der Gesetzentwurf soll bereits am kommenden Mittwoch im Kabinett verabschiedet werden. De Maizière drängte auf eine zügige Beratung im Bundestag.

Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich zuversichtlich, dass die neuen Regelungen der Bundesrepublik auch vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Bestand haben wird. Denn die geplante neue Unterbringungsform solle eben nicht die "Fortsetzung der Strafhaft" sein. Der Gerichtshof hatte kritisiert, die Sicherungsverwahrung sei in Deutschland wie eine zusätzliche Strafe ohne entsprechendes Urteil ausgestaltet.

Kritik an dem Kompromiss kam von den Grünen. Deren Bundestags-Fraktionsvorsitzende Renate Künast sagte dem Hamburger Abendblatt: "Schwarz-gelb unternimmt erst gar nichts, dann wird ordentlich gestritten, und plötzlich zaubert de Maizière eine neue Form der Unterbringung hervor - kein Wort, wie die organisiert werden soll, kein Wort über Therapie und Resozialisierung, die im Mittelpunkt stehen müssen."

Verfassungsrechtlich seien zudem "Zweifel angebracht, ob bereits freigelassene Personen überhaupt in diese ominöse neue Form der Unterbringung gebracht werden können". Künasts Fazit: "Dieser Kompromiss ist mit heißer Nadel gestrickt und lässt weiter viele Fragen offen. Wiedervorlage im Herbst."