Die Justizministerin will bisherige Fälle neu aufrollen. Doch das Urteil von Karlsruhe könnte die Ehe aushöhlen, fürchtet die Union.

Berlin/Karlsruhe. Ledige Väter, denen die Mutter ihres Kindes das Sorgerecht seit Jahren vorenthalten hat, können auf eine Besserstellung hoffen. „Wir können nicht ausblenden, dass viele ledige Väter jahrelang keine Chance hatten, bei Gericht das Sorgerecht durchzusetzen (...) Wir werden auch für Altfälle den Weg zu den Gerichten ermöglichen“, sagte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der „Passauer Neuen Presse“. Sie will im Herbst einen Gesetzentwurf vorstellen.

Die Ministerin sagte, künftig solle kein Elternteil mehr bevorzugt werden. Das gelte für beide Seiten. Ziel müsse es sein, dass in möglichst vielen Fällen beide Eltern das Sorgerecht gemeinsam ausüben. „Das ist im Zweifel für das Kind das Beste“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.

Ledige Väter haben künftig bessere Chancen, ein Sorgerecht für ihre Kinder zu bekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat die bislang geltende Regelung gekippt , wonach Väter nur mit Zustimmung der Mutter ein gemeinsames Sorgerecht erhalten können. Der Beschluss (Aktenzeichen: 1 BvR 42/09) stieß bei Politikern und Verbänden auf ein geteiltes Echo.

Grundsätzlich gilt: Frauen müssen nach der Karlsruher Entscheidung ab sofort ihr Sorgerecht mit dem Vater teilen, wenn ein Gericht festgestellt hat, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Die Verfassungshüter setzten damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 um. Es hatte gerügt, dass das deutsche Kindschaftsrecht ledige Mütter gegenüber den Vätern bevorzuge. Die Karlsruher Richter verwiesen nun auf neue Erkenntnisse, wonach eine beträchtliche Zahl von Müttern allein deshalb die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge verweigerte, "weil sie ihr angestammtes Sorgerecht nicht mit dem Vater des Kindes teilen wollen".

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sieht durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Väter in ihren Reformüberlegungen bestärkt. Die Ministerin erklärte gestern in Berlin, den betroffenen Vätern müssten Wege aufgezeigt werden, "wie sie auch ohne vorherige gerichtliche Entscheidung ihr Sorgerecht ausüben können". Ziel sei ein unbürokratisches Verfahren, "bei dem das Wohl der betroffenen Kinder stets Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen ist". Unklar ist allerdings noch, was das in der Praxis nach der Gesetzesnovelle konkret bedeuten wird.

Denn in der Regierungskoalition begann nach Bekanntwerden des Richterspruchs sofort die Debatte über ein entscheidendes Detail der vom Bundesjustizministerium geplanten Gesetzesänderung. Strittig ist, ob ledige Väter nur auf ihren Wunsch ein Mit-Sorgerecht erhalten oder automatisch bei der Geburt des Kindes, wobei dann die Mutter Widerspruch einlegen könnte (sogenannte Widerspruchslösung). So sprach sich die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Dorothee Bär (CSU), gegen die Widerspruchslösung aus, für die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) allerdings klar Sympathien hegt. Wenn gerichtlich festgestellt werde, dass ein gemeinsames Sorgerecht am besten dem Kindeswohl diene, sei es zu begrüßen, wenn Väter mehr Verantwortung übernehmen könnten, sagte Bär dem Hamburger Abendblatt. Die CDU/CSU wollen "keine hohen Hürden für die Väter", schlage aber "dennoch vor, das Sorgerecht zunächst bei der Mutter zu belassen. Wenn der Vater eine gemeinsame Sorge wünscht und die Mutter damit nicht einverstanden ist, soll er die Möglichkeit erhalten, diese beim Familiengericht zu beantragen." Bärs Sorge ist, dass die "Institution Ehe" durch die Rechtsprechung der jüngsten Zeit mehr und mehr ausgehöhlt werde. Am Ende könne als einziger Vorteil der Ehe - neben dem immateriellen Wert - nur noch der steuerliche übrig bleiben.

Dagegen hatte sich bereits in der vergangenen Woche der FDP-Familienexperte Stephan Thomae deutlich für die Widerspruchslösung ausgesprochen. Dessen Parteifreundin Leutheusser-Schnarrenberger äußerte sich gestern eher zurückhaltend und vermied so eine Vorfestlegung. Aus dem Parlament kämen interessante und gute Vorschläge. Es gehe jetzt darum, alle Überlegungen zusammenzuführen.

Die Grünen forderten die Ministerin auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Nur so könne die Gerechtigkeitslücke für unverheiratete Väter geschlossen werden, wie die familienpolitische Sprecherin Katja Dörner sagte. Ein gemeinsames Sorgerecht entspreche den gesellschaftlichen Erfordernissen, sagte auch der familienpolitische Sprecher der Linksfraktion, Jörn Wunderlich.

Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, wies wie Bär darauf hin, dass der Gesetzgeber tragfähige Gründe habe, von einer gemeinsamen Sorge ab Geburt abzusehen. Es könne nicht immer von einer tragfähigen Beziehung zwischen den Eltern ausgegangen werden. Daher sei ein gemeinsames Sorgerecht auf Antrag sinnvoller als die gemeinsame Sorge von nichtverheirateten Eltern als Regelmodell.