CDU-Vizevorsitzende Annette Schavan über Rücktritte und Farbenspiele, den Wert der Kanzlerin und die Bildungspolitik der Zukunft.

Hamburg. Bundesbildungsministerin Annette Schavan zeigt sich im Abendblatt-Interview verwundert über den Rücktritt des Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (beide CDU). Um die Zukunft der Union ist ihr gleichwohl nicht bange.

Hamburger Abendblatt:

Frau Schavan, wie groß ist Ihr Verständnis für den Rücktritt des Hamburger Bürgermeisters?

Annette Schavan:

Ole von Beust hat in Hamburg gute Politik gemacht und in der CDU viel bewegt in Sachen moderner Großstadtpolitik. Deshalb bedauere ich den Rücktritt und respektiere zugleich seine persönlichen Gründe.

Ole von Beust - ein Blick zurück

Können Sie sich vorstellen, auch so zu handeln?

Das habe ich nicht vor.

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Die meisten Grünen sind sehr viel später in öffentliche Ämter eingestiegen als Ole von Beust. Im Übrigen gilt: Wer geht, hat Anspruch auf Respekt, ist aber nicht zwangsläufig ein Held.

Ole von Beust sagt: Jeder ist ersetzbar, auch in Berlin. Hat er recht?

Klar.

Gilt das auch für die Kanzlerin?

Ole von Beust hat gesagt: Alles hat seine Zeit. Das bedeutet für die Kanzlerin: Sie wird im Land und in der CDU gebraucht wie nie zuvor. Sie hält die Partei zusammen und betreibt eine erfolgreiche programmatische Entwicklung in der CDU.

Sechs Ministerpräsidenten sind der CDU in kurzer Zeit abhandengekommen. Wen vermissen Sie am meisten?

Manche muss ich ja gar nicht vermissen. Günther Oettinger beispielsweise ist EU-Kommissar geworden, ihn kann ich in Brüssel treffen. Christian Wulff ist Bundespräsident. Jetzt sind junge, neue Ministerpräsidenten wie David McAllister und Stefan Mappus im Amt. Sie werden ihre Sache gut machen.

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Gute Führung zeichnet sich auch dadurch aus, dass es gelingt, die Besten zu halten. Angela Merkel gelingt das nicht...

Die allermeisten unserer Ministerpräsidenten sind doch in der Zeit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ins Amt gekommen. Das spricht für erfolgreiche Führung. Trotz aller Veränderungen ist die CDU mit ihrem breiten Spektrum zusammengeblieben. Das ist das große Verdienst von Angela Merkel.

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Ich teile diese Analyse nicht. Wenn ein Ministerpräsident durch einen anderen Ministerpräsidenten ersetzt wird, ist das nicht Erosion, sondern Generationenwechsel.

Die Union ist nicht geschwächt?

Nein. Es sind starke Männer gegangen und neue starke Männer gekommen.

Sie sind die Einzige von vier stellvertretenden CDU-Vorsitzenden, die auf dem Parteitag im November zur Wiederwahl steht. Wen sehen Sie in Zukunft neben sich?

Die Landesverbände werden Vorschläge machen. Es wird wieder eine überzeugende Parteispitze geben, die das Spektrum der Partei widerspiegelt.

Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg galt vielen als Modell - für andere Länder wie auch für den Bund. Ist es damit jetzt vorbei?

Nichts ist vorbei. Jede Koalition kann in eine Situation kommen, in der ihr ein wichtiges Projekt wegbricht. Das kommt vor. Ich bin davon überzeugt, dass die schwarz-grüne Koalition in Hamburg hält.

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Ist ein eher konservativer CDU-Politiker wie Christoph Ahlhaus imstande, eine schwarz-grüne Regierung zu führen?

Selbstverständlich. Sonst wäre er nicht nominiert worden.

In einer Koalition mit den Grünen verliere die CDU ihr Profil, warnen Unionspolitiker. Teilen Sie diese Sorge?

Solche Warnungen hat es in der Vergangenheit auch mit Blick auf andere Koalitionen gegeben. Denken Sie nur an die Große Koalition.

Zu Unrecht?

Jede Koalition hat ihren Preis. Jede Koalition bietet zugleich die Chance, sich selbst weiterzuentwickeln. Das gilt auch für die CDU. Sie ist stark genug, in jeder Koalition ihre Akzente zu setzen.

Können Sie sich vorstellen, dass die Union nach der nächsten Bundestagswahl mit den Grünen regiert?

Es wäre falsch, über andere Koalitionen zu spekulieren als über diejenige, in der man gerade ist. Ich habe neun Jahre christlich-liberale Koalition in Baden-Württemberg erlebt. Jetzt erlebe ich Schwarz-Gelb in Berlin. Für die Union stecken in einem Bündnis mit der FDP mehr Chancen als in einer Zusammenarbeit mit den Grünen.

Schlechter als mit der FDP könnte es mit den Grünen kaum laufen ...

Ich bin davon überzeugt, dass die Grünen in Fragen nachhaltiger Politik durchaus interessante Ansätze haben. Aber das führt mich nicht zu der These, die Schnittmenge sei größer als mit der FDP. Die ersten acht Monate dieser Bundesregierung waren nicht leicht. Gleichwohl haben wir wichtige Projekte verabschiedet. Deswegen dürfen wir unsere Arbeit nicht kleinreden und andere Konstellationen gleichsam illusionär groß machen. So wäre es mit den Grünen schwierig, die Frage zu beantworten, wie der Umbau der Energieversorgung zu gestalten ist.

Längere Laufzeiten für Kernkraftwerke können Sie auch mit der FDP nicht durchsetzen - es sei denn, Sie umgehen den Bundesrat.

Im Herbst wird die Bundesregierung ein Konzept vorlegen, das die Eckdaten für den Umbau der Energieversorgung nennt. Die Laufzeitverlängerung wird zu diesem Konzept gehören. Die Frage der Beteiligung des Bundesrates ist zu klären. Dazu muss es Gespräche mit den Ländern geben.

Sehen Sie ein Bundesland, in dem die CDU nach den Landtagswahlen im nächsten Jahr mit den Grünen regieren könnte?

Im Moment sehe ich das nicht. Das Modell Hamburg lässt sich nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen.

Sie haben das Scheitern der Hamburger Schulreform begrüßt. Was ist so gut am Erfolg der Reformgegner?

Bei der Hamburger Schulreform ist der Eindruck entstanden, dass das Gymnasium zum Sündenbock für Schwachstellen im Bildungssystem gemacht wird. Zugleich sage ich: Nicht alles an dieser Schulreform ist falsch. Es ist richtig, benachteiligte Kinder besser zu fördern. Es ist richtig, sich stärker dem Thema Integration zu widmen. Und vor allem ist es richtig, soziale Herkunft und schulischen Erfolg zu entkoppeln.

Was folgt daraus?

Nach dem Tag der Abstimmung gilt es, einen konstruktiven Dialog zu führen - in Hamburg und auch anderswo. Wir brauchen bessere Antworten auf Schwachstellen in unserem Bildungssystem.

Wie sehen diese Antworten aus?

Hamburg lehrt uns, dass nicht jede Landesregierung meinen sollte, ihr bildungspolitisches Profil über eine andere Schulstruktur zu erreichen. Das führt sonst zu einem immer größeren Flickenteppich in Deutschland und zu immer größeren Hindernissen für die Mobilität von Familien. Hamburg lehrt uns, dass wir uns stärker mit Inhalten, mit Bildungszielen, mit besseren Förderkonzepten, mit gutem Unterricht und mit besserer Lehrerausbildung befassen sollten. Das sind Erfolgsfaktoren für Qualität und mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem.

Die CDU will ihre bildungspolitischen Positionen überprüfen. Was verbirgt sich dahinter?

Wir wollen unseren Parteitag im Herbst 2011 als Bildungsparteitag gestalten. Bis zu diesem Zeitpunkt werden wir das bildungspolitische Programm der CDU weiterentwickeln.

Welche Akzente setzen Sie?

Gewiss wird die frühkindliche Bildung eine ganz starke Rolle spielen, der bessere Übergang vom Kindergarten zur Grundschule. Ein zentrales Thema für die CDU wird auch sein, wirksame Wege der Benachteiligtenförderung zu finden. Jede PISA-Studie hat gezeigt, dass in CDU-regierten Bundesländern viel erfolgreiche Bildungspolitik geleistet wurde. Jetzt haben wir die Chance, das nächste Kapitel bildungspolitischer Geschichte in Deutschland zu schreiben.

Sie haben vor einiger Zeit die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen. Seither ist wenig passiert. Haben Sie den Mund zu voll genommen?

Nein, überhaupt nicht. Das Thema Bildung hat erheblich an Bedeutung gewonnen. Die Bildungsrepublik Deutschland steht für eine Gesellschaft, die sich begeistert für Bildung. Sie stellt Schulen in den Mittelpunkt und weiß, dass Bildung die Quelle künftigen Wohlstands ist.