Er empfahl seiner Mandantin, einen Schlauch durchzuschneiden, der ihre schwer kranke Mutter zwangsernährte. Die Frau wollte in Würde sterben.

Karlsruhe. In einem Prozess um Grundsatzfragen der Sterbehilfe hat der Bundesgerichtshof einen wegen versuchten Totschlags angeklagten Rechtsanwalt freigesprochen. Der Münchener Patientenrechtsanwalt Wolfgang Putz hatte seiner Mandantin geraten, den Ernährungsschlauch durchzuschneiden, über den ihre im Wachkoma liegende Mutter versorgt wurde. Sowohl die Verteidigung als auch die Bundesanwaltschaft hatten den Freispruch beantragt.

Im Urteil heißt es: Die Behandlung von unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten darf jederzeit abgebrochen werden, wenn der Patient dies in einer Verfügung vorher veranlasst hat. Dieser Behandlungsabbruch entspreche keiner Tötung auf Verlangen und sei eine Form der zulässigen passiven Sterbehilfe. „Das Abschalten eines Respirators oder der Schnitt durch eine Magensonde ist ein zulässiger Behandlungsabbruch“, sagte die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing van Saan (Az.: 2 StR 454/09).

Es war einer der spektakulärsten Fälle der vergangenen Jahre. Die 76 Jahre alte Erika K. starb im Dezember 2007 unter bizarren Begleitumständen. Die Frau lag seit Jahren im Wachkoma in einem Pflegheim in Bad Hersfeld. Ihre Tochter hat den Schlauch einer Magensonde durchschnitten, mit der Erika K. künstlich ernährt wurde. Die Kranke hatte ihrer Tochter vorher gesagt, sie wolle nicht jahrelang künstlich ernährt werden.

Die Tochter hatte zuvor den von Anwalt Putz eingeholt. Putz sagte der Tochter, sie könne den Schlauch durchtrennen, der die Patientin mit Wasser und Kunstbrei versorgte. Dafür wurde nicht die Tochter, sondern der Anwalt wegen versuchten Totschlags vom Landgericht Fulda zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe sowie einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt.

Versuchter Totschlag war es, weil Erika K. zunächst überlebte. Ihre Tochter wurde verhaftet, Erika K. in einem Krankenhaus eine neue Magensonde gelegt. Sie starb einige Tage später aufgrund von Herzversagen. Die Tochter konnte das medizinisch verlängerte Leiden ihrer Mutter nicht mehr ertragen. Erika K. waren alle Zähne gezogen worden, denn sie erhielt ja ihre Nahrung ohnehin über die Sonde. Außerdem musste ein Luftröhrenschnitt gesetzt werden, um den Schleim abzusaugen, an dem sie sonst erstickt wäre. Unter dem schweren Schmerzmittel Morphium stand Erika K. sowieso.

Etwa ein Jahr vor ihrem Tod 2007 musste der Patientin ein Arm amputiert werden. Er war gebrochen und ausgekugelt. Der Grund für die Verletzung ist unklar. Das Pflegepersonal hatte den verletzten Arm nicht bemerkt, obwohl er sich bereits verfärbte.

Die Tochter wollte Erika K. in Würde sterben lassen, sagte sie. Das Landgericht Fulda sprach sie trotz des Schlauchdurchtrennens frei, weil sie dem Rat des Anwalts irrtümlich gefolgt sei. Auch die Bundesanwaltschaft hatte auf Freispruch plädiert. "Eine Zwangsbehandlung ist unzulässig", sagte Oberstaatsanwalt Lothar Maur. Die Pfleger hätten selbst die Sonde entfernen müssen. Die Tochter, die als rechtliche Betreuerin eingesetzt war, habe den Willen der Mutter umsetzen müssen.