Bundesanwalt fordert vor dem Bundesgerichtshof Freispruch in spektakulärem Fall

Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof steht vor einem Grundsatzurteil zur Sterbehilfe, das am 25. Juni fällt. Nach der gestrigen mündlichen Verhandlung in einem der spektakulärsten Fälle der vergangenen Jahre wird erwartet, dass die Richter erklären, wann eine Behandlung von unheilbar erkrankten, aber nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten abgebrochen werden darf.

Verhandelt wird der Fall der 76 Jahre alten Erika K., die im Dezember 2007 unter bizarren Begleitumständen starb. Die Frau lag seit Jahren im Wachkoma in einem Pflegheim in Bad Hersfeld. Ihre Tochter hat den Schlauch einer Magensonde durchschnitten, mit der Erika K. künstlich ernährt wurde. Die Kranke hatte ihrer Tochter vorher gesagt, sie wolle nicht jahrelang künstlich ernährt werden.

Die Tochter hatte zuvor den Rat des bekannten Münchner Patientenrechtsanwalts Wolfgang Putz eingeholt. Putz sagte der Tochter, sie könne den Schlauch durchtrennen, der die Patientin mit Wasser und Kunstbrei versorgte.

Dafür wurde nicht die Tochter, Täterin", sondern der Anwalt wegen versuchten Totschlags vom Landgericht Fulda zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe sowie einer Geldstrafe von 20 000 Euro verurteilt.

Versuchter Totschlag war es, weil Erika K. zunächst überlebte. Ihre Tochter wurde verhaftet, Erika K. in einem Krankenhaus eine neue Magensonde gelegt. Sie starb einige Tage später aufgrund von Herzversagen. Die Tochter konnte das medizinisch verlängerte Leiden ihrer Mutter nicht mehr ertragen. Erika K. waren alle Zähne gezogen worden, denn sie erhielt ja ihre Nahrung ohnehin über die Sonde. Außerdem musste ein Luftröhrenschnitt gesetzt werden, um den Schleim abzusaugen, an dem sie sonst erstickt wäre. Unter dem schweren Schmerzmittel Morphium stand Erika K. sowieso.

Etwa ein Jahr vor ihrem Tod 2007 musste der Patientin ein Arm amputiert werden. Er war gebrochen und ausgekugelt. Der Grund für die Verletzung ist unklar. Das Pflegepersonal hatte den verletzten Arm nicht bemerkt, obwohl er sich bereits verfärbte.

Die Tochter wollte Erika K. in Würde sterben lassen, sagte sie. Das Landgericht Fulda sprach sie trotz des Schlauchdurchtrennens frei, weil sie dem Rat des Anwalts irrtümlich gefolgt sei. Der Bundesgerichtshof muss nun klären, ob der Versuch als "Töten durch aktives Tun" zu werten und somit strafbar sei. Oder war es passive Sterbehilfe? Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen ist zulässig, wenn der Patient bereits im Sterben liegt und seine Entscheidung etwa per Patientenverfügung vorher erklärt hat. Anwalt Putz hofft auf ein klares Wort zur Sterbehilfe aus Karlsruhe - und auf einen Freispruch.

Auch die Bundesanwaltschaft plädierte auf Freispruch. "Eine Zwangsbehandlung ist unzulässig", sagte Oberstaatsanwalt Lothar Maur. Die Pfleger hätten selbst die Sonde entfernen müssen. Die Tochter, die als rechtliche Betreuerin eingesetzt war, habe den Willen der Mutter umsetzen müssen.

Die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan deutete noch keine Richtung der Entscheidung an. Einerseits sei die Tötung auf Verlangen strafbar. Andererseits müsse der vorab geäußerte Wille von Wachkoma-Patienten beachtet werden. Beides sei gesetzlich vorgeschrieben. Entscheidend sei, ob das Durchschneiden des Schlauchs als aktive Tötungshandlung gewertet werde oder ob der Wille der Mutter zum Behandlungsabbruch umgesetzt wurde. Die Beratungen des fünfköpfigen Senats werden sicher lebhaft. Bei der Verhandlung diskutierten die Richter mehr untereinander als mit Verteidigung und Bundesanwaltschaft.