Entscheidend ist künftig der Wille des Patienten. Die Katholische Kirche kritisiert das Urteil des Bundesgerichtshofs.

Karlsruhe. Wenn ein todkranker Mensch nicht mehr leben will, dürfen Angehörige und Ärzte die Behandlung beenden. In einem Grundsatzurteil zur Sterbehilfe stellte der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag klar: Entscheidend ist immer der Wille des Patienten. Zulässig ist damit künftig der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen wie etwa künstliche Ernährung bei Komapatienten - vorausgesetzt, es liegt eine entsprechende Erklärung des Kranken vor. Im juristischen Sinn gilt dies als passive Sterbehilfe. Aktive Sterbehilfe wie das Verabreichen einer Giftspritze bleibt nach wie vor verboten.

Bisher war die Rechtsprechung zur Sterbehilfe nicht eindeutig. Für Angehörige, Ärzte und Pflegekräfte war das Risiko groß, verklagt zu werden - auch wenn sie nur helfen wollten.

In dem konkreten Fall ging es um das Schicksal einer 76-Jährigen, die vor einer folgenschweren Hirnblutung gesagt hatte, dass sie "auf gar keinen Fall an Schläuche" wolle. Dennoch lag sie fünf Jahre lang im Wachkoma und wurde in einem Pflegeheim künstlich ernährt. Die Heimleitung lehnte die Einstellung der Ernährung ab. Schließlich durchtrennte die Tochter der Kranken auf Anraten ihres Anwalts Wolfgang Putz die Schläuche selbst. Daraufhin wurde der Jurist vom Landgericht Fulda wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Dieses Urteil wurde jetzt vom BGH kassiert, der Anwalt freigesprochen. Die Tochter der Kranken wurde nie belangt, weil sie sich auf den Anwalt verlassen hatte.

Die Bundesregierung, die Parteien und die evangelische Kirche begrüßen das Urteil. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, der Bundesgerichtshof habe "dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen zu Recht einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt". Die Entscheidung stelle klar, dass es "keine Zwangsbehandlung" gegen den Willen des Menschen geben dürfe. Auch Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer und Präsident der Ärztekammer Hamburg, begrüßte das Urteil. "Man kann die Fälle der Sterbehilfe nicht mit dem Strafrecht lösen, sondern nur mit gesundem Menschenverstand", sagte Montgomery dem Abendblatt. "Sicher werden einige Leute den Medizinern vorwerfen, dass nun massenhaft lebenserhaltende Maßnahmen eingestellt werden." Es werde aber nicht zu einem Dammbruch an Klagen kommen.

Die katholische Kirche reagierte dagegen kritisch. Sie fürchtet jetzt eine "ethische Verunklarung". Das Urteil unterscheide nicht deutlich genug zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, so die Deutsche Bischofskonferenz. Der Ärzteverband Marburger Bund warnte, das Urteil dürfe nicht als Aufruf zu eigenmächtigem Handeln Angehöriger missverstanden werden. "Aus dem Zustand des Wachkomas darf nicht abgeleitet werden, dass solche Menschen per se nicht mehr leben wollen", so Verbandschef Rudolf Henke.