“Euer Hass ist unser Ansporn“: Gauck hat in seiner ersten großen Rede als Bundespräsident zum Kampf gegen Rechts und zu mehr Mut aufgerufen.

Berlin. Joachim Gauck ist mit einem flammenden Plädoyer für die aktive Demokratie und gegen jeden Extremismus in seine offizielle Amtszeit als Bundespräsident gestartet. In seiner ersten großen Rede appellierte das neue Staatsoberhaupt an die Deutschen, mehr Zuversicht zu zeigen. "Ich bitte Sie alle, mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu setzen“, sagte Gauck am Freitag nach seiner feierlichen Vereidigung in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat.

Der elfte Bundespräsident rief zum kompromisslosen Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus auf. "Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich“, betonte er unter großem Beifall an die Adresse aller Extremisten. "Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.“

Weiter warb Gauck, der bisher vor allem für das Thema Freiheit stand, für einen starken Sozialstaat. Überraschend ging er auf die Auseinandersetzung der sogenannten 1968er Generation mit der Nazi-Vergangenheit ein und nannte sie beispielhaft.

Fünf Tage nach seiner Wahl war der 72-Jährige zuvor vereidigt worden. Der frühere evangelische Pastor und DDR-Bürgerrechtler sprach den Amtseid mit der Formel "So wahr mir Gott helfe“. In der Sitzung im Reichstagsgebäude waren fast alle Altbundespräsidenten dabei, darunter auch Gaucks direkter Vorgänger Christian Wulff, der vorzeitig zurückgetreten war.

+++ Die Rede des neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck +++

"Ich empfinde mein Land vor allem als ein Land des Demokratiewunders“, betonte Gauck in seiner Ansprache mit Blick auf die deutsche Nachkriegszeit: "Erst wenn die Menschen aufstehen und sagen: 'Wir sind das Volk', werden die Menschen sagen können: 'Wir sind ein Volk'.“

Als sein Wunschbild nannte Gauck ein Deutschland, das "soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschance“ miteinander verknüpft. Man dürfe nicht zulassen, dass Menschen glaubten, sie gehörten nicht zur Gesellschaft, nur weil sie arm oder behindert seien. Freiheit und Gerechtigkeit müssten deshalb eng miteinander verbunden werden.

Das Anliegen seines Vorgängers Wulff für eine bessere Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln will Gauck fortsetzen. Alle, die in Deutschland lebten, müssten sich hier auch zu Hause fühlen können.

Gauck mahnte, auch in der Euro-Krise am europäischen Gedanken nicht zu zweifeln. "Das Ja zu Europa gilt es zu bewahren.“ In Krisenzeiten sei die Neigung besonders ausgeprägt, sich in den Nationalstaat zu flüchten. "Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen.“

Überraschend zog er in seiner Rede eine Parallele von der 68er-Generation zur Demokratiebewegung in der DDR. In der Nachkriegszeit sei in Westdeutschland der Umgang mit dem Nationalsozialismus defizitär gewesen. "Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert“, betonte Gauck.

Trotz aller Irrwege habe die damals von meist linksgerichteten Studenten geprägte Bewegung die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein der Deutschen gerückt. Diese Aufarbeitung der Vergangenheit sei auch in Ostdeutschland nach dem Ende der SED-Herrschaft 1989 beispielhaft gewesen. Vorbild seien die 68er auch in Gesellschaften im Ausland gewesen, die das Joch der Unfreiheit abgeschüttelt hätten.

Gauck schloss mit den Worten: "Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur geträumt. Das haben wir gelebt und gezeigt.“

Immer wieder wurde Gaucks Rede von Beifall unterbrochen. Auch Abgeordnete der Linkspartei, die geschlossen gegen ihn gestimmt hatte, klatschten und erhoben sich am Ende von den Sitzen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) betonten, dass Gauck 23 Jahre nach dem Fall der Mauer der erste Ostdeutsche im höchsten Staatsamt sei. Gewürdigt wurde am Freitag zugleich die integrationspolitische Leistung des zurückgetretenen Bundespräsidenten Wulff. Das sei "gerade mit Blick auf die letzten Wochen ein Gebot der Redlichkeit wie der politischen Kultur“, sagte Lammert in der gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat.

Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der nach dem Rücktritt von Wulff kurzzeitig die Präsidialgeschäfte geführt hatte, betonte, Wulff habe mit seinem "mutigen Eintreten“ für die Grundwerte einer offenen Gesellschaft wie Toleranz, Religionsfreiheit und Menschenrechte Zeichen gesetzt. "Ich danke Ihnen für das, was Sie für Deutschland geleistet haben.“

Wulff war am 17. Februar nach monatelanger Kritik in der Kredit- und Medienaffäre zurückgetreten.

Nach seiner Vereidigung wurde Gauck mit militärischen Ehren an seinem Berliner Amtssitz empfangen. Eine Ehrenformation der Bundeswehr begrüßte ihn im Park des Schlosses Bellevue. Zu seiner ersten Auslandsreise wird Gauck am Montag in Polen erwartet. (dpa/dapd)

Kernaussagen von Bundespräsident Gauck

Geschichte und Erinnerung: „Ich wünsche mir also eine lebendige Erinnerung auch an das, dass in unserem Land nach all den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur, nach den Greueln des Krieges gelungen ist. In Deutschlands Westen trug es, dieses Gelungene, als erstes den Namen Wirtschaftswunder. ... Allerdings sind für mich die Autos und die Kühlschränke und all der neue Glanz einer neuen Prosperität nicht das Wunderbare jenes Jahrzehnts. Ich empfinde mein Land vor allem als ein Land des Demokratiewunders.“

Die Achtundsechziger: „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in dieser Zeit blieb allerdings defizitär. Die Verdrängung eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern des Nazi-Regimes prägte den damaligen Zeitgeist. Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert. ... Trotz aller Irrwege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er auch verbunden haben, haben sie die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt.“

Die friedliche Revolution in der DDR: „1989, dieser nächste Schatz in unserem Erinnerungsgut: Da waren die Ostdeutschen zu einer friedlichen Revolution imstande, zu einer friedlichen Freiheitsrevolution. Wir wurden das Volk, und wir wurden ein Volk.“

Soziale Gerechtigkeit: „Wie soll es nun also aussehen dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel unser Land sagen? Es soll unser Land sein, weil unser Land soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist nicht der einer irgendwie paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt und ermächtigt. ... Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit. ... Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit.“

Integration: „In unserem Land sollen auch alle zu Hause sein können, die hier leben. Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten sind, auch andere Sprachen, andere Traditionen und Kulturen ... Unsere Verfassung spricht allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben oder welche Sprache sie sprechen. Sie tut dies nicht als Belohnung für gelungene Integration, sie versagt dies aber auch nicht als Sanktion für verweigerte Integration.“

Europa: „Dieses Ja zu Europa gilt es nun ebenfalls zu bewahren. Gerade in Krisenzeiten ist die Neigung, sich auf die Ebene des Nationalstaats zu flüchten, besonders ausgeprägt. Das europäische Miteinander ist aber ohne den Lebensatem der Solidarität nicht gestaltbar. Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen.“

Rechtsextremismus: „Wir stehen zu diesem Land, nicht weil es so vollkommen ist, sondern weil wir nie zuvor ein besseres gesehen haben. Und speziell zu unseren rechtsextremen Verächtern der Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.“