Beamte des Landeskriminalamtes Niedersachsen hatten die Durchsuchung im Einvernehmen mit dem Ehepaar Wulff durchgeführt.

Großburgwedel/Berlin. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat am Freitagabend fast vier Stunden lang das Wohnhaus des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff in Großburgwedel durchsucht. Der Chefermittler in dem Verfahren, Clemens Eimterbäumer, und fünf Beamte des niedersächsischen Landeskriminalamts verließen gegen 21 Uhr das Haus. Ein Durchsuchungsbeschluss war nach Angaben der Ermittler für die Durchsuchung nicht nötig.

Wulffs Anwalt Gernot Lehr erklärte: „Zur zügigen Aufklärung des gegen ihn erhobenen Vorwurfs hat Herr Christian Wulff die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen in seinen Privaträumen freiwillig angeboten und ermöglicht. Diese Maßnahmen finden seine volle Unterstützung.“ Die „Bild“-Zeitung berichtete, es seien Computer sichergestellt worden.

Im Zuge der Ermittlungen gegen Wulff hat die niedersächsische Staatskanzlei weitere Unterlagen an die Staatsanwaltschaft übergeben. „Insgesamt wurden rund 450 Seiten aus unserem Haus abgegeben“, sagte ein Sprecher von Ministerpräsident David McAllister (CDU) am Freitag in Hannover. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat auch Büroräume und die Wohnung des Filmproduzenten David Groenewold durchsucht. „Wir bestätigen hiermit, dass gestern eine einvernehmlich mit der Staatsanwaltschaft Hannover vereinbarte Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume unseres Mandanten stattfand“, teilte Groenewolds Anwaltskanzlei Moser Bezzenberger am Freitag mit.

Die Staatsanwaltschaft in Hannover wollte die Durchsuchung nicht kommentieren. Die Ermittler stellten nach Informationen der „Bild“-Zeitung am Donnerstagabend in Berlin umfangreiches Daten- und Aktenmaterial sicher. Groenewold werde sich seiner Kanzlei zufolge zu dem laufenden Verfahren mit Rücksicht auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden derzeit nicht äußern.

Vor zwei Wochen hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Wulff und Groenewold wegen möglicher Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung eingeleitet. Groenewold soll Wulff in dessen Amtszeit als niedersächsischer CDU-Regierungschef Urlaube auf Sylt bezahlt haben. Wulff bestreitet dies.

+++ Debatte um Ehrensold für Wulff +++

In allen Ministerien würden Mitarbeiter weiter nach Unterlagen zum Verhältnis zwischen Wulff und dem Filmemacher David Groenewold suchen. Es würde zudem nach Akten zum Verhältnis zwischen Groenewold und dem früheren Sprecher Wulffs, Olaf Glaeseker, gesucht.

Wulff wünscht sich nach einem Zeitungsbericht für seinen offiziellen Abschied beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr das Lied „Ebony and Ivory“. Das berichtet die „Leipziger Volkszeitung“ (Sonnabend) unter Berufung auf zuständige Kreise. Zu dem für kommenden Donnerstag geplanten Zeremoniell gehört, dass das Stabsmusikkorps auch einen Wunschtitel des Geehrten spielt. „Ebony and Ivory“ (Ebenholz und Elfenbein; methaphorisch auch Schwarz und Weiß) wurde 1982 eingespielt vom Ex-Beatles-Star Paul McCartney und dem farbigen Soulsänger Stevie Wonder.

Chronologie: Die Wulff-Affäre

2008: Wulff erhält von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro für den Kauf eines Privathauses in Burgwedel bei Hannover.

Februar 2010: Die Grünen im niedersächsischen Landtag wollen vom damaligen Ministerpräsidenten Wulff unter anderem wissen, welche Spenden beziehungsweise Sponsoringleistungen er oder die CDU in den vergangenen zehn Jahren vom Unternehmer Egon Geerkens erhalten haben und ob es geschäftliche Beziehungen zu Geerkens gab. Wulff verneint dies.

21. März 2010: Der Privatkredit wird durch ein günstiges Darlehen der BW-Bank mit einem Zinssatz abgelöst. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vermutet Ende 2011 einen Zusammenhang zwischen dem Darlehen „zu ungewöhnlichen Sonderkonditionen“ und dem Einsatz Wulffs als niedersächsischer Ministerpräsident und damit Mitglied des VW-Aufsichtsrates für den Einstieg des VW-Konzerns bei Porsche.

17. August 2011: Der Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet, dass Journalisten das Grundbuch des Hauses einsehen dürfen, wenn dies für eine journalistische Recherche erforderlich ist.

12. Dezember 2011: Wulff ruft von einer Auslandsreise in Kuwait „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann an. Er hinterlässt auf Diekmanns Mailbox eine Nachricht, mit der er versucht, auf die anstehende Berichterstattung über seinen Privatkredit Einfluss zu nehmen.

13. Dezember 2011: Die „Bild“ berichtet über das Darlehen und fragt, ob Wulff das Landesparlament getäuscht habe. Sein Sprecher Olaf Glaeseker teilt mit, Wulff habe die damalige Anfrage korrekt beantwortet. Es habe keine geschäftlichen Beziehungen zu Egon Geerkens gegeben und gebe sie nicht.

15. Dezember 2011: Wulff räumt ein, dass es falsch gewesen sei, den Darlehensvertrag mit Edith Geerkens in der Antwort auf die Grünen-Anfrage nicht zu erwähnen.

18. Dezember 2011: Neue Vorwürfe wegen Wulffs Urlaubsreisen zu befreundeten Unternehmern werden laut.

22. Dezember 2011: Wulff tritt erstmals persönlich in der Affäre an die Öffentlichkeit und entschuldigt sich für seinen Umgang mit den Vorwürfen. Er bekräftigt jedoch, im Amt bleiben zu wollen. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt in einem meiner öffentlichen Ämter jemandem einen unberechtigten Vorteil gewährt“, versichert das Staatsoberhaupt. Kurz vor seiner Erklärung im Schloss Bellevue entlässt Wulff seinen langjährigen Sprecher Olaf Glaeseker ohne Angabe von Gründen.

2. Januar 2012: Die Interventionen Wulffs beim Springer-Verlag werden bekannt. Das Medienecho ist verheerend für Wulff.

4. Januar: Kanzlerin Merkel erwartet eine weitere Erklärung Wulffs. Am Abend gibt Wulff ARD und ZDF ein Interview. „Der Anruf bei dem Chefredakteur der ’Bild’-Zeitung war ein schwerer Fehler, der mir leidtut, für den ich mich entschuldige“, sagt Wulff. An Rücktritt hat Wulff nach eigenem Bekunden nicht gedacht.

5. Januar: Wulffs Anwalt stellt sechsseitige Stellungnahme ins Netz, um „größtmögliche Transparenz“ zu gewährleisten. Die „Bild“ kündigte in einem Brief an Wulff an, sie wolle den Wortlaut der Mailbox-Nachricht veröffentlichen, „um Missverständnisse auszuräumen“.

12. Januar: Mehrere Medien geben Wulffs Anwalt die Veröffentlichung ihrer Anfragen zur Kreditaffäre frei.

16. Januar: Die Staatsanwaltschaft Hannover sieht weiter keinen „strafprozessualen Anfangsverdacht“ für Ermittlungen.

18. Januar: Wulff half laut einer Sprecherin des Versicherungskonzerns Talanx entgegen anderslautenden Angaben offenbar doch bei der Sponsorensuche für Nord-Süd-Dialog, eine private Veranstaltungsreihe. Seine Anwälte veröffentlichen derweil die Journalistenfragen und die Antworten.

19. Januar: Die Wohn- und Geschäftsräume des ehemaligen Wulff-Sprechers Glaeseker werden durchsucht.

20. Januar: Auch Glaeseker soll aktiv beim Nord-Süd-Dialog mitgeholfen haben.

26. Januar: Die Vergabe des Kredits der BW-Bank an Wulff ist nach Angaben der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) regelkonform erfolgt.

29. Januar: Es wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Hannover im Zuge der Glaeseker-Ermittlungen dessen Büro im Bundespräsidialamt durchsucht hat.

10. Februar: Merkel stärkt Wulff erneut den Rücken. „Die Welt“ berichtet, Wulff nutzte über Monate ein Handy, das einer Firma Groenewolds gehörte.

13. Februar: Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet von einem Aktenvermerk, in dem Wulff zu äußerster Zurückhaltung im Bezug auf eine Landesbürgschaft an Groenewold mahnt. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bezeichnete den Vermerk als „interessant“.

15. Februar: Die niedersächsische Staatskanzlei übergibt Unterlagen an die Staatsanwaltschaft.

16. Februar: Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt die Aufhebung von Wulffs Immunität.

17. Februar: Wulff erklärt seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten.

29. Februar: Das Bundespräsidialamt entscheidet, dass Wulff auch wie seine Amtsvorgänger den Ehrensold erhält.

2. März: Die Staatsanwaltschaft soll laut „Bild“-Zeitung Büroräume und die Privatwohnung von Groenewold im Berliner Stadtteil Grunewald durchsucht haben. (dpa/dapd)