“Eigenartig“ findet es die Hamburgerin, dass schon wieder eine Studie zu Muslimen entstehe. Friedrich verteidigt sich gegen harsche Kritik.

Berlin. Die Hamburgerin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz hat mit Blick auf die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie zur Integrationsbereitschaft junger Muslime dazu gemahnt, Radikalisierungstendenzen in der gesamten Gesellschaft zu betrachten. Özoguz nannte es am Freitag im rbb-Inforadio „eigenartig“, dass man sich bei solchen Themen immer wieder auf Muslime konzentriere. Schließlich gebe es auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft Abschottungstendenzen, die sich in anti-islamischen Einstellungen oder Fremdenfeindlichkeit zeigten.

Sie würde sich freuen, „wenn nicht jede Studie der Bundesregierung“ sich mit Muslimen beschäftige. Vielmehr müsse man sich grundsätzlich den Themen Radikalisierung, Ausgrenzung oder Feindlichkeit widmen“, sagte Özoguz, die auch Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion ist.

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde, äußerte sich noch schärfer: „Es geht nicht, dass hier junge Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Das ist purer Populismus“, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, der „Passauer Neuen Presse“. Der am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung zufolge befürwortet eine Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime Integration. Ein Teil von ihnen zeige aber auch eine Tendenz zur Gewaltakzeptanz, hieß es. Fast jeder vierte junge Muslim ohne deutschen Pass verweigere jede Integration. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte dazu, Deutschland achte die kulturelle Identität der Zuwanderer, akzeptiere aber nicht den „Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten“.

Kolat warf Friedrich populistische Stimmungsmache vor. Er erwarte eine Klarstellung des Innenministers, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ und der in Halle erscheinenden „Mitteldeutschen Zeitung“. Dass die Muslimvertreter aus der Zeitung von der Studie erfahren hätten, sei ein „unglaublicher Vorgang“. Man hätte die Ergebnisse zunächst in der Islamkonferenz vorstellen und beraten sollen. Das Vorgehen Friedrichs sei „schlechter Stil und keine Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“.

Wenige Tage nach der Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Morde wolle Friedrich „offenbar von den Versäumnissen beim Kampf gegen Rechtsextremismus ablenken“, sagte Kolat: „Das ist eindeutige Stimmungsmache.“ Die Vorstellung der Studie wirke sich belastend auf die nächste Islamkonferenz am 19. April aus.

Der Vorsitzende des Islamrats in Deutschland, Ali Kizilkaya, hatte zuvor ebenfalls einen „Generalverdacht gegen muslimische Jugendliche“ in der Studie kritisiert. Diese machten leider die Erfahrung, „dass sie diskriminiert und ausgegrenzt werden“, sagte er am Donnerstagabend dem Nachrichtensender Phoenix.

Die Integrationsdebatte nannte Kizilkaya „sicherheitsdominiert“. Die Islamkonferenz sei zu einer „mehr aktivistischen als sachlichen Sicherheitskonferenz verkommen“. Der Islamrat ist einer von vier großen Islamverbänden in Deutschland und derzeit von den Beratungen der Islamkonferenz suspendiert. Zum Islamrat gehört die Organisation Milli Görüs, die wegen islamistischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

+++ Streit um Integrationsstudie des Innenministeriums +++

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat die Studie hingegen im Grundsatz gegen Kritik verteidigt. „Diese Studie ist sehr ausführlich, in der es um sehr viele komplexe Randerscheinungen geht“, sagte Friedrich am Donnerstagabend im ZDF-„heute-journal“. Er stellte klar: „Die Moslems lehnen in ihrer großen Mehrheit ganz scharf den Terrorismus ab, und die allermeisten sind gerne bereit, sich in Deutschland zu integrieren.“

Daneben sehe er aber kritische Aspekte: „Es gibt eine Zahl von Nicht-Integrationswilligen, und es gibt sicher auch eine Zahl von vor allem jungen Leuten, die für Radikalisierung anfällig sind.“ Friedrich betonte: „Gerade morgen jährt sich der erste islamistische Anschlag auf deutschem Boden von einem jungen Mann in Frankfurt, der sich selbst radikalisiert hat. Ich kann diese Phänomene doch nicht ignorieren.“

Die Studie des Ministeriums hatte am Donnerstag für Streit in der schwarz-gelben Koalition gesorgt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stellte die Aussagekraft der Studie infrage. Es bestehe die Gefahr, damit lediglich Schlagzeilen zu produzieren. Auch die Opposition griff Friedrich wegen der Studie an.

Für Aufregung sorgten vor allem die Zahlen über junge Muslime, die eine Integration in Deutschland ablehnen. Demnach stehen 22 Prozent der deutschen Muslime zwischen 14 und 32 Jahren einer Eingliederung eher zurückhaltend gegenüber. Bei den Muslimen ohne deutschen Pass hätten sogar 48 Prozent starke Separationsneigungen. Die Studie erfasste „streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“. In der Gruppe der jungen Muslime treffe dies auf 15 Prozent bei den deutschen und etwa 24 Prozent bei den nichtdeutschen Jugendlichen zu.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, zeigte sich besorgt über Radikalisierungstendenzen junger Muslime. „Die Studie bestätigt unsere Erkenntnisse: Diskriminierung begünstigt Extremismus. Wenn dann noch fanatisierte Religionsvorstellungen dazu kommen, kann das bei einigen Jugendlichen wie ein Brandbeschleuniger wirken“, sagte er Bild.de. Jetzt sei die Politik gefragt, so Mazyek. Sie müsse die Muslime noch stärker als bisher in der Präventionsarbeit unterstützen.

+++ Studie stellt Muslime als integrationsunwillig dar +++

+++ Kommentar: Probieren geht über Studieren +++

+++ Junge Muslime nicht interessiert an Integration? +++

Der Kriminologe Christian Pfeiffer warnte vor pauschaler Angstmache. In einem Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag) reagierte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen verärgert auf die Studie: „Wenn wir den Muslimen bereits als Grundschüler die Hand reichen, landen sie auch nicht in der Ecke der Frustrierten, wo sie sich hinter der Religion verschanzen.“ Pfeiffer forderte eine „mutmachende Nachhilfe“ für die Sechs- bis Zwölfjährigen. Die Studie habe mit einigen hundert Befragten zu wenige Teilnehmer gehabt, die zudem bereits zu alt gewesen seien, und sie vernachlässige regionale Aspekte.

Zum Islam bekennen sich in Deutschland nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge schätzungsweise vier Millionen Menschen. Knapp die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Für die Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ wurden 700 junge deutsche und nichtdeutsche Muslime telefonisch befragt. Zudem wurden 692 Fernsehbeiträge aus Nachrichtensendungen analysiert. (dpa/epd)