Die Hälfte der nichtdeutschen Muslime wolle sich angeblich nicht in Deutschland anpassen. Tilo Sarrazin fühlt sich von der Studie bestätigt. Die Opposition übt Kritik und wirft der Union die Spaltung der Gesellschaft vor. Sie sieht eine Stigmatisierung von Migranten.

Berlin. Eine umstrittene Studie stellt Muslime als integrationsunwillig dar. Danach habe fast die Hälfte der nichtdeutschen Muslime keine Lust, sich in Deutschland anzupassen. So liest sich eine vom Ministerium am Donnerstag in Berlin vorgelegte Studie. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zeigt sich besorgt.

15 Prozent der deutschen und sogar 24 Prozent der nichtdeutschen Muslime hätten außerdem eine starke Abneigung gegen den Westen und zeigten überhaupt keine Tendenz, sich zu integrieren. Für Friedrich sind diese Zahlen „überraschend hoch“. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), zweifelte indes an der Aussagekraft der Studie. Die Forscher hatten von 2009 bis 2011 Familien und Einzelpersonen interviewt sowie Fernsehsendungen und Beiträge in Internetforen ausgewertet.

Mehrheitlich wollten sich Muslime laut Studie aber in die deutsche Gesellschaft einfügen und lehnen Terrorismus und Fanatismus ab. 78 Prozent der deutschen Muslime und 52 Prozent der nichtdeutschen Muslime zeigten sich in den Interviews der Wissenschaftler weltoffen.

Ex-Bundesbankvorstand Tilo Sarrazin, der mit seinem umstrittenen Buch „Deutschland schafft sich ab“ 2010 eine Integrationsdebatte losgetreten hatte, fühlte sich durch die Studie bestätigt. Islamische Einwanderung müsse mit mehr Realismus und weniger Wunschdenken gesehen werden, sagte er der Tageszeitung „Die Welt“ (Freitagausgabe).

Friedrich machte derweil klar, dass Deutschland keine extremistischen Tendenzen tolerieren werde. „Wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten“, sagte der Minister der „Bild“-Zeitung (Donnerstagausgabe).

Heftige Kritik kam von der Opposition und muslimischen Verbänden. Die integrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, warf Friedrich vor, „schon wieder an der Stigmatisierung von Migranten“ zu arbeiten. Der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Memet Kilic, fügte hinzu, nicht Religion oder Einwanderungsgeschichte seien die entscheidende Ursache für Jugendgewalt, sondern Chancen- und Perspektivlosigkeit.

Die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Aydan Özoguz, forderte, die in der Studie angeregte Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft umzusetzen. In Deutschland geborene Kinder von Ausländern müssen sich derzeit mit Erreichen der Volljährigkeit zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern entscheiden.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, riet der Union, die Untersuchung richtig zu lesen. „Äußerungen wie ’wir und die’ kann ich nichts abgewinnen – was die Studie, wenn man sie denn richtig lesen würde, auch nicht macht“, sagte er der Nachrichtenagentur dapd. Fast gleichlautend äußerte sich der stellvertretende Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, Mustafa Yeneroglu, der Friedrich vorhielt, ein neues Gefahrenszenario zu konstruieren.

Die Integrationsbeauftragte Böhmer wies darauf hin, dass der Schwerpunkt der Studie auf Personen aus arabisch- und türkischsprachigen Ländern liege. Sie sei daher nicht repräsentativ für die Muslime in Deutschland, sagte sie der dapd. „Was die Studie allerdings zu Recht in den Blick rückt, ist die Verantwortung der deutschsprachigen als auch der fremdsprachigen Medien für die Integration.“ Diese könnten aufklärend und integrierend, aber auch ausgrenzend wirken.

Die Autoren der im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellten Studie sehen Religion oder Identifikation mit einer nichtdeutschen Kultur nicht grundsätzlich als integrationshemmend an. Sie kommen zu dem Schluss, dass Muslime sich eher radikalisierten, wenn sie den Bezug zu ihrer Herkunftskultur verlören, aber nicht von der neuen Gesellschaft aufgenommen würden. Die Wissenschaftler rieten von restriktiven Maßnahmen wie „Kopftuchverboten“ ab.

Die Studie wurde von Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Jacobs University Bremen, der Johannes Kepler Universität Linz sowie der Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung Weimar erstellt.

Mit Material von dapd