Die SPD will die 44-jährige Hamburgerin Aydan Özoguz auf ihrem Parteitag in Berlin zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden wählen.

Hamburg. Erst knackt es in der Leitung. Dann ist Aydan Özoguz' Stimme gut zu hören. Sie sitzt im ICE aus Berlin. Bei Spandau, sagt sie, sei die Verbindung immer am besten. Das habe sie schon getestet, in etlichen Telefonaten mit Journalisten und Parteikollegen. "Sonst ist der Empfang erst in Hamburg wieder gut." Er passt so schön, dieser Satz, zu einem Menschen, der in Lokstedt aufgewachsen ist, lange als Politikerin in der Bürgerschaft an der Alster saß und der nun in Berlin zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD gewählt werden soll. Berlin und Hamburg, oft sitzt Özoguz hier, oft da, und oft dazwischen. Im Zug.

Özoguz muss lauter sprechen, um gegen die Bahngeräusche anzukommen. "Entschuldigung, stört Sie das? Ich gehe sonst auch raus", fragt sie ins Abteil. Zwei Minuten Telefongespräch im ICE verraten mehr über Özoguz als viele Zeilen Porträt.

Aydan Özoguz, 44, ist überhaupt erst seit 2004 in der SPD, seit 2009 Mitglied im Bundestag als Abgeordnete aus Wandsbek. Sie poltert nicht an die Spitze der Partei wie Gerhard Schröder. Sie inszeniert keine Dramen wie Oskar Lafontaine. Özoguz spricht ruhig, zurückhaltend, sie wirft nicht mit Parteiparolen um sich, sondern hinterfragt Begriffe. "Multikulti", das Wort sage doch nichts mehr aus. "Migrationshintergrund" sei eher eine Diagnose für Armut und Bildungsferne. Özoguz ist da mehr Wissenschaftlerin als Politikerin. Wenn Özoguz so am Wörterjonglieren ist, fragt man sich manchmal, wie sie in der SPD-Spitze gehört werden will zwischen den werbewirksamen Auftritten von Klaus Wowereit und dem Organ von Sigmar Gabriel. Letzterer wählte sie aus für den Posten des fünften Parteivizen. Olaf Scholz bot ihr 2001 als Hamburger SPD-Chef einen Sitz in der Bürgerschaft an. Er habe sie als "kluge und politisch gut informierte Frau kennengelernt". Özoguz boxt sich nicht mit Ellenbogen und scharfer Zunge nach oben, man will sie dort. Als Politikerin, und als Tochter türkischer Eltern.

Ihr Vater kam 1961 nach Deutschland, nicht als Gastarbeiter, sondern als Unternehmer. Er importierte Haselnüsse per Schiff in die Republik, die Tochter studierte genauso wie ihre Brüder. 1989 ließ Özoguz sich einbürgern und arbeitete für die Körber-Stiftung, verheiratet ist sie mit Hamburgs Innensenator Michael Neumann. "Hamburger Deern" nennt sie sich auf ihrer Homepage. Mehr Integration geht nicht. Das weiß auch Gabriel.

Nach dem Debakel um Thilo Sarrazin und dessen Buch "Deutschland schafft sich ab" ist Özoguz ein heilendes Pflaster für eine SPD, die nicht mehr das Monopol hat auf die Wählerstimmen der Migranten. Für Parteichef Gabriel geht diese Strategie auf, für Özoguz bedeutet sie auch Druck. Die "Quoten-Migrantin", die "Vorzeige-Politikerin mit türkischen Wurzeln", wird sie wieder genannt werden. Özoguz wird bissig sein müssen, auch mit lauten Forderungen "Schlagzeilen produzieren" müssen, wie es in der Politik heißt.

Sie hat es ja schon öfter gehört, dass es ja "so typisch" sei: Als Migrantenkind mache sie eben Integrationspolitik. Özoguz hat sich kluge Antworten auf diese Äußerungen zurechtgelegt: "Man würde doch auch einen Unternehmer nicht fragen, warum er sich für Wirtschaftspolitik interessiert." Künftig will Özoguz sich stärker für junge Menschen ohne Bildungsabschluss engagieren und einen Deutschland-Atlas entwerfen, der zeigt, wo die Arbeit mit sozial benachteiligten Jugendlichen gut funktioniert und was andere Regionen übernehmen können. Es ist solide Sachpolitik, aber wieder keine Schlagzeile.

Als Gabriel fragte, ob sie Vize-Chefin werden wolle, ließ Özoguz sich Zeit, sprach mit Kollegen über Stress und Aufgaben. Wie damals, als Scholz sie in die Bürgerschaft holte, als Parteilose, weil Özoguz erst schauen wollte, wie das so läuft mit den Genossen. Özoguz, weiß man, ruft nicht einfach an aus dem ICE. Sie überlegt vorher, an welchem Teil der Strecke der Empfang gut ist.