Hannelore Krafts Begründung ist verwunderlich: Die FDP habe Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) bereits aufgegeben.

Düsseldorf. Die Wende im Machtpoker in Nordrhein-Westfalen ist perfekt: SPD und Grüne wollen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) mit einer Minderheitsregierung ablösen. Das teilten die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft und Grünen-Landtagsfraktionschefin Sylvia Löhrmann mit.

Kraft ihre begründete Entscheidung mit Interviewäußerungen von FDP-Landeschef Andreas Pinkwart. Dieser habe die schwarz-gelbe Koalition aufgekündigt. Damit sei Rüttgers ein Regierungschef auf Abruf. SPD und Grüne würden nun Verhandlungen über eine Minderheitsregierung aufnehmen.

Pinkwart hatte der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ gesagt, CDU und FDP hätten den Koalitionsvertrag der letzten Legislaturperiode „abgearbeitet“. Die FDP wolle nun im Landtag auf eigene Rechnung für „Mehrheitsentscheidungen im Interesse des Landes“ werben.“

Möglich ist die Wahl einer rot-grünen Regierung, weil im Parlament im vierten Wahlgang die einfache Mehrheit genügt. CDU und FDP verfügen zusammen über 80, SPD und Grüne über 90 Stimmen. Dass die Linkspartei ihre elf Stimmen dem amtierenden Regierungschef Rüttgers gibt, gilt als unwahrscheinlich.

Bisher hatte Kraft stets betont, eine Minderheitsregierung erst anzustreben, wenn Abstimmungen im Bundesrat dies nötig machen. Damit will Rot-Grün schwarz-gelbe Regierungsprojekte wie das Sparpaket oder eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken blockieren.

Kraft wollte zunächst einen Politikwechsel in Nordrhein-Westfalen aus dem Landtag heraus herbeiführen – damit wäre Ministerpräsident Rüttgers geschäftsführend im Amt geblieben. Dagegen hatten die Grünen in Land und Bund den Druck auf die SPD verstärkt und die schnelle Bildung einer Minderheitsregierung gefordert. Kraft müsse sich noch vor der Sommerpause zur Ministerpräsidentin wählen lassen, hatten sie gefordert.

Kraft hatte in den vergangenen Wochen Sondierungsgespräche mit allen im Landtag vertretenen Parteien geführt. Eine Große Koalition mit der CDU lehnte die SPD danach ab. Zuvor hatten die Sozialdemokraten auch ein rot-rot-grünes Bündnis ausgeschlossen. Eine Ampel-Koalition scheiterte an den Differenzen zwischen Grünen und FDP.

Nach der Wahl am 9. Mai hatten weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine Regierungsmehrheit erringen können. Rot-Grün fehlt eine Stimme zur absoluten Mehrheit, bei einer Minderheitsregierung müssten sich SPD und Grüne im Parlament wechselnde Mehrheiten suchen. Auch die Linkspartei war als Fraktion in den Landtag eingezogen.

Eine ähnliche Situation wie heute in NRW gab es 2008 in Hessen. Damals wollte sich die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti mit Unterstützung von Grünen und Linkspartei zu Regierungschefin wählen lassen. Kurz vor der Wahl verweigerten ihr aber vier Abgeordnete aus ihrer eigenen Partei die Unterstützung. Daher scheiterte die rot-grüne Regierung unter Tolerierung der Linkspartei.

Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir begrüßt die geplante rot-grüne Minderheitsregierung in NRW. Özdemir sagte „Spiegel online“: „Es ist gut, dass die SPD in NRW sich jetzt bewegt und Verantwortung übernimmt.“ Eine rot-grüne Koalition sei auch aus inhaltlichen Gründen zwingend. „Eine rot-grüne Minderheitsregierung bietet die Chance für eine bessere Bildungspolitik und für andere Mehrheiten im Bundesrat, gegen Laufzeitverlängerung und Kopfpauschale“, sagte er.