Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert eine neue Weltordnung. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse stichelt gegen Helmut Kohl.

Berlin. Feier über Feier, die Polit-Promis aus aller Welt drängeln sich auf Berlins Straßen. Die junge, internationale Party-Meute macht aus der Hauptstadt eine Jubel-Metropole – und das im grauen November. Das Jubiläum elektrisiert Berlin.

Der Höhepunkt soll das „Fest der Freiheit“ am Brandenburger Tor sein. Dort sollen 1000 bemalte große Domino-Steine als Symbol für den Einsturz der Mauer der Reihe nach umstürzen. Etwas nüchterner würdigten Bundespräsident Horst Köhler und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den 20. Jahrestag des Mauerfalls als einen „glücklichen Tag“ in der jüngeren deutschen Geschichte. Köhler erinnerte auch an die Pogromnacht von 1938. „Der 9. November 1938 und der 9. November 1989 sind miteinander verbunden.“

Die Kanzlerin sagte auf einer Konferenz zu den internationalen Folgen des Mauerfalls: „Diese Welt wird keine friedliche Welt sein, wenn wir nicht zu mehr globaler Ordnung und zu mehr multilateraler Zusammenarbeit finden.“ Die im Dezember anstehende Klima-Konferenz von Kopenhagen werde beispielhaft dafür stehen, ob die Welt bereit sei, gemeinsam zu handeln in Bereichen, die nur global gelöst werden können.

„Die spannendste Frage, um Mauern zu überwinden, wird sein: Sind die Nationalstaaten bereit und fähig, Kompetenzen an multilaterale Organisationen abzugeben – koste es, was es wolle“, sagte Merkel.

Köhler und Merkel (CDU) hatten zum Auftakt der Feierlichkeiten einen ökumenischen Gottesdienst in der Gethsemanekirche besucht. Diese Kirche gilt als ein Zentrum der friedlichen Revolution von 1989 in der DDR. Die Kanzlerin ging mit ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern über die frühere Grenze an der Bornholmer Straße. Dieser Kontrollpunkt war vor 20 Jahren der erste, über den die Menschen in den Westteil der Stadt strömten. An dem symbolischen Spaziergang nahmen auch der ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow und der frühere polnische Bürgerrechtler und Staatspräsident Lech Walesa teil.

Walesa sagte, Papst Johannes Paul II. habe enormen Verdient beim Fall der Mauer gehabt: „Die Öffnung der Mauer ist zu 50 Prozent ein Verdienst des Heiligen Vaters“, sagte Walesa im polnischen Fernsehen. Die von Walesa gegründete polnische Gewerkschaft Solidarnosc habe zu 30 Prozent und die sonstige Welt nur zu 20 Prozent dazu beigetragen. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) habe die Massen bewegt und so die Wende in Osteuropa angestoßen, so Walesa. Zugleich nannte er es eine „Lüge“, dass der damalige sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow den Mauerfall und das Ende des Kommunismus gewollt habe.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte vor einer Verklärung Helmut Kohls als Kanzler der Einheit. „Der Mauerfall vor 20 Jahren ist nicht das Ergebnis einer genialen Politik und genialer Politiker, sondern des Mutes vieler namenloser Menschen und das müssen wir verteidigen“, sagte Thierse dem Radiosender Bayern 2. Er verwahrte sich dagegen, dass der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) als derjenige hingestellt werde, dem Deutschland die Einheit zu verdanken habe. „Das hat ganz viel mit Propaganda zu tun, auch mit parteipolitischer Propaganda“, sagte Thierse. „Nein, die Ostdeutschen haben die Mauer eingedrückt, damit hat Helmut Kohl nichts zu tun.“ Kohl habe hinterher den Prozess der deutschen Einigung mit Intelligenz vorangetrieben.

Der Berliner CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel kritisierte Thierses Äußerungen als widerlich. „Hier spricht ein kleingeistiger, verbitterter Mann, von dem wir uns die solidarische Leistung nach dem Mauerfall nicht kaputtreden lassen dürfen.“

US-Außenministerin Hillary Clinton hat den Fall der Mauer als eines der wichtigsten Ereignisse des 20.Jahrhunderts bezeichnet. Dieses Ereignis habe „die Landschaft eines Kontinents verändert“, sagte sie bei ihrem ersten Deutschland-Besuch als Ministerin.

Auch in vielen anderen Ländern wurde an den Mauerfall erinnert. In London ist eine Mauer aus Eis geschmolzen. Auf der Pariser Place de la Concorde werden am Abend Tausende zu einer Licht- und Tonschau erwartet, die per Live-Schaltung mit dem Festakt in Berlin verknüpft wird. (HA/dpa)