Neun Abweichler trüben Schwarz-Gelb den Auftakt. „Es gibt immer auch Enttäuschte.“ Auf der Besuchertribüne saßen Überraschungsgäste.

Berlin. Der neue Gesundheitsminister musste auf die Besuchertribüne. Philipp Rösler, bisher Wirtschaftsminister in Niedersachsen, hat kein Bundestagsmandat. Demnächst sitzt er auf der Regierungsbank. Nicht weit von ihm entfernt bei den Besuchern saßen fünf Kinder der Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Und ebenfalls bei den Besuchern war der Lebenspartner des neuen deutschen Außenminister, Guido Westerwelle (FDP).

Das war die Szenerie, in der Angela Merkel als Bundeskanzlerin wiedergewählt und vereidigt wurde. Ihr Mann Joachim Sauer fehlte. Dafür waren Merkels Eltern Herlind und Horst Kasner im Bundestag dabei.

Nach elf Jahren Rot-Grün und Schwarz-Rot bestimmt wieder eine Koalition von Union und FDP die Geschicke Deutschlands. Allerdings verweigerten mindestens neun Koalitionsabgeordnete Merkel die Zustimmung. Merkel erhielt bei der Wahl 323 von 612 Stimmen. Union und FDP stellen zusammen aber 332 Abgeordnete. Das kann man als sanften Gegenwind für das neue Regierungsduo Merkel/Westerwelle an der Spitze der Koalition werten.

Der designierte Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) nannte die Gegenstimmen aus den eigenen Reihen bedauerlich und mutmaßte, sie könnten mit Personalentscheidungen bei der Regierungsbildung zusammenhängen. „Es gibt immer auch Enttäuschte. Keine Koalition ist leicht“, sagte er. Die Opposition wertete das Ergebnis als Fehlstart von Schwarz-Gelb.

Abweichler hat es bei den vergangenen Kanzlerwahlen fast immer gegeben. 2005 war Merkel mit 397 von 612 abgegebenen Stimmen zur Chefin der Großen Koalition gewählt worden. Das war zwar das zweitbeste Ergebnis bei einer Kanzlerwahl seit 1949. Mindestens 51 Abgeordnete der Koalition stimmten damals allerdings gegen die neue Regierungschefin. Konrad Adenauer (CDU) versagten im Jahr 1961 mindestens 46 Abgeordnete aus der christlich-liberalen Koalition die Unterstützung. Bei der Wahl Kurt Georg Kiesingers (CDU) waren es 1966 sogar mindestens 104 aus der ersten Großen Koalition. Nur einmal, bei der ersten Wahl von Gerhard Schröder 1998, lag die Zahl der Stimmen für den Kanzler über der Zahl der Koalitionsabgeordneten. Mindestens sechs Abgeordnete aus der Opposition votierten damals für Schröder.

Bei der Vereidigung ergänzte Merkel die grundgesetzlich vorgeschriebene Formel mit „so wahr mir Gott helfe“. Nach dem Erhalt ihrer Ernennungsurkunden sind die neuen Bundesminister des schwarz-gelben Kabinetts vor dem Bundestag vereidigt worden. Alle zehn Minister der Union sowie die fünf Minister der FDP leisteten den Amtseid mit der Formel „So war mit Gott helfe“.

Bundespräsident Horst Köhler stimmte das Kabinett auf schwierige Zeiten ein. Als Herausforderungen nannte er neben der Wirtschaftskrise unter anderem die europäische Integration und den Klimaschutz. Am späten Nachmittag stand die erste Kabinettssitzung an, anschließend wollte die Kanzlerin zu einem Abendessen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nach Paris fliegen. Am Donnerstag und Freitag ist Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel, am Dienstag spricht sie vor dem US-Kongress in Washington. Ihre Regierungserklärung im Bundestag zum Koalitionsvertrag gibt sie erst am 10. November ab.

Die Opposition kritisierte die Reisepläne scharf. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zeigte sich „erstaunt und empört“, seine Grünen-Kollegin Renate Künast sprach von einer „Missachtung des Bundestages“ und einem „Affront“. Der scheidende Kanzleramtsminister Thomas de Maizière wies die Kritik zurück. „Das ist die Haltung des schlechten Verlierers“, sagte der CDU-Politiker dem Fernsehsender Phoenix. Noch nie habe es am Folgetag einer Kanzlerwahl eine Regierungserklärung gegeben. (ryb/HA)