Klausurtagung, Sonderparteitag, dann soll die künftige Führung feststehen. “Wir wollen kein Bauernopfer!“

München. Als sich am Montagmorgen die CSU-Parteispitzen in München trafen, sah es nach Köpferollen aus. Todernst schaute Georg Schmid drein. Der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion sagte, die Frage nach der Zukunft von CSU-Chef Erwin Huber nach der desaströs verlorenen Landtagswahl "müsse schnell, sehr schnell" entschieden werden. Doch am Nachmittag verkündeten Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein zur allgemeinen Überraschung, niemand werde gehen, nicht einmal CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer. Wenigstens nicht gleich.

Die bayerische Regierungspartei ähnelte gestern einem Hornissennest auf der Suche nach der Königin - zumindest nach außen. Ein "Weiter so" könne es nicht geben, verkündeten CSU-Vorständler allenthalben, und die meisten meinten das auch in personeller Hinsicht. Vor der CSU-Landesleitung warteten die Journalisten. Keiner wagte zu gehen. Jede Minute, so schien es, konnte jemand vor die Tür treten und Rücktritte verkünden - wenigstens den von Parteichef Huber.

Doch drinnen überstanden die gestrauchelten Tandem-Fahrer die schwierigsten Stunden ihrer Amtszeit. "Eine Flucht aus der Verantwortung kann es nicht geben", verkündete Huber und behauptete: "Rücktrittsforderungen wurden nicht gestellt."

Freilich hätten Vorständler darauf Wert gelegt, dass "über alle Themen diskutiert" werden solle. Sowohl Huber wie auch Beckstein legten Wert darauf, dass sie nicht an ihren Ämtern klebten.

Beide erwiesen sich als Optimisten beachtlichen Ausmaßes: In einem "geordneten Verfahren" soll jetzt die historische Wahlschlappe analysiert werden. Dafür hat man sich auf einen Fahrplan festgelegt, der eine Klausurtagung des Parteivorstands am 13. und einen Parteitag in München am 25. Oktober vorsieht. Auf der Tagesordnung dieses Parteitags stehe dann auch die "personelle Aufstellung" für das Wahljahr 2009, sagte Huber.

Wohin diese führen könnte, deutete sich bereits an: Einer vierköpfigen Verhandlungsgruppe, die jetzt Gespräche mit den infrage kommenden Koalitionspartnern FDP und Freie Wähler (FW) führen soll, soll neben Beckstein und Huber sowie Landtagsfraktionschef Schmid auch der Parteivize und Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer angehören. Warum gerade Seehofer? Weil es bei den Verhandlungen auch um die Haltung Bayerns im Bundesrat gehe und damit Bundespolitik berührt sei. Huber erklärte das sichtlich bemüht. Doch die Spatzen pfiffen es von den Dächern der CSU-Zentrale: Hier wird der künftige Chef eingebunden. Huber gilt bereits als Auslaufmodell. Einen Absturz in dieser Höhe könne kein Parteichef überstehen, hieß es übereinstimmend am Rande der CSU-Gremiensitzungen.

Das Gleiche gilt für seine Generalsekretärin Haderthauer. Sie habe ihm noch am Wahlabend ihren Rücktritt angeboten, sagte Huber. Er habe abgelehnt: "Weil wir nicht ein Bauernopfer wollen." Muss es also mehr als ein Bauer sein?

Auch über Beckstein haben sich sehr dunkle Wolken zusammengezogen. Einer der wenigen, die mit offenem Visier antraten, war der JU-Bayern-Vorsitzende Stefan Müller: "Ich sehe nicht, dass wir mit der gleichen Aufstellung auch in der Staatsregierung so weitermachen." Der Vorsitzende von Hubers Heimat-Parteibezirk Niederbayern, Manfred Weber, machte klar, dass Beckstein ebenfalls abtreten müsse, wenn Huber gehen sollte: Als Bezirksvorsitzender werde er es "nicht zulassen", dass Huber "für das komplette Wahlergebnis alleine verantwortlich" gemacht werde. Auch aus den Kreisen der Oberbayern-SPD war zu hören, dass man den Franken Beckstein nicht weiter zu stützen gedenke, sollte Huber gehen.

Die Lage wird dadurch noch kompliziert, dass alles unter einem gewissen Zeitdruck steht. Nach Artikel 44 der Bayerischen Verfassung muss der Ministerpräsident spätestens innerhalb einer Woche nach dem ersten Zusammentreten des neu gewählten Landtags gewählt werden. Das wäre spätestens am 27. Oktober. Dieser Zeitdruck könnte Beckstein fürs Erste über die Runden retten. Er zählte schon einmal auf, was er als Ministerpräsident einer Koalitionsregierung für unverzichtbare CSU-Kernbestandteile bewahren will, etwa das "differenzierte Schulsystem" und die Spitzenstellung Bayerns auf dem Gebiet der inneren Sicherheit.

Während Seehofer ziemlich klarer inoffzieller Kandidat für die Huber-Nachfolge ist, schwirren abenteuerliche Gerüchte über einen möglichen neuen Ministerpräsidenten in München herum. Seehofer-Fans trauen ihm zu, wie Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber beide Ämter zu übernehmen. Aber auch Innenminister Joachim Herrmann, Wissenschaftsminister Thomas Goppel und Fraktionschef Schmid wurden genannt.

Oder könnte sogar Stoiber reaktiviert werden? Er werde sich als "Ehrenspielführer" mit einbringen, sagte Stoiber vielsagend, und: "Die CSU ist gegenwärtig nicht mehr der Mythos, der sie jahrzehntelang war." Seehofer lächelte nur melancholisch auf seinem Weg durch das Spalier der Kameras.

Das CSU-Desaster hat auch das Klima zwischen CSU und CDU erheblich belastet. Europa- und Bundespolitiker der CSU schoben der Schwesterpartei eine Mitschuld an dem Absturz zu. "Wir haben uns von der CDU mehr Unterstützung erwartet", sagte Huber und bezog dies auf das CSU-Steuerkonzept und die Forderung nach Wiedereinführung der vollen Pendlerpauschale. Er habe den Eindruck, dass die CDU gar "etwas schadenfroh ist", glaubt der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach beobachtet zu haben. Es sei auch alles andere als hilfreich gewesen, wenn Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch sich zum "Kronzeugen gegen die Steuerpolitik der CSU" erhebe.

Wegen "fehlender programmatischer Grundlage" schloss Beckstein Verhandlungen mit SPD und Grünen aus. Wie der Fahrplan zur Bildung der ersten bayerischen Koalitionsregierung seit 1958 ablaufen wird, ist damit klar. Immerhin das.