Ist das gerade erst reformierte Wahlrecht für Bundestagswahlen ebenfalls verfassungswidrig? Gleich drei Klagen werden heute vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt.

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht prüft am heutigen Dienstag ab 10 Uhr, ob das neue Recht für die Bundestagswahlen verfassungsgemäß ist. SPD, Grüne und zahlreiche Bürger greifen die von Union und FDP beschlossene Gesetzesreform an. Der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verhandelt mündlich über die Klagen. Das Urteil wird frühestens in drei Monaten erwartet.

SPD und Grüne argumentieren, das neue Gesetz beseitige bei Bundestagswahlen weder die umstrittenen Überhangmandate noch das sogenannte negative Stimmgewicht. Das negative Stimmgewicht ist ein paradoxer Effekt, bei dem der Gewinn von Zweitstimmen für eine Partei bei dieser Partei zu einem Sitzverlust im Bundestag führen kann – die Stimmen erhalten dann ein negatives Gewicht. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil Sitze zustehen. Die CDU – so argumentiert die klagende SPD-Fraktion - wolle von Überhangmandaten profitieren.

Eine Änderung war nötig geworden, nachdem die Karlsruher Richter 2008 das bisherige Wahlrecht für teilweise rechtswidrig erklärt hatten. Grund war der paradoxe Effekt, dass es unter bestimmten Umständen passieren konnte, dass eine Partei im Ergebnis weniger Sitze im Bundestag bekam, wenn die Zahl ihrer Zweitstimmen stieg.

Die Opposition ist zuversichtlich, dass Karlsruhe das neue Wahlrecht zu Fall bringt. „Wir haben weiter keine verfassungskonforme Regelung“, sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. „Das Wahlrecht ist das Fundament unserer Verfassung und muss den Wählerwillen repräsentieren.“ Gegen diesen Anspruch verstoße das von der Koalition verabschiedete Gesetz jedoch eklatant. Oppermann vertritt die SPD-Fraktion in Karlsruhe.

Besonders die weiterhin möglichen Überhangmandate verstießen gegen das im Grundgesetz garantierte gleiche Wahlrecht. „Diese Zusatzmandate verleihen manchem Wähler doppeltes Stimmgewicht. Sie verletzten auch die Chancengleichheit der Parteien“, sagte der SPD-Politiker. So habe die SPD bei der Bundestagswahl 2009 für ein Parlamentsmandat mehr als 68 000 Stimmen gebraucht, die CDU dagegen nur 61.000.

„Wenn einzelne Parteien weniger Stimmen für ein Mandat benötigen als andere, ist das kein faires Wahlrecht“, so Oppermann. Solche Überhangmandate könnten unter Umständen Mehrheiten im Bundestag sogar umdrehen. Auch deshalb trete die SPD dafür ein, sie abzuschaffen. Solche Extrasitze kommen zustande, wenn eine Partei durch Erststimmen mehr Direktmandate gewinnt, als ihr Sitze nach den Zweitstimmen zustehen. Bei der Bundestagswahl 2009 hatte fast nur die Union davon profitiert.

Mit Material von dpa und dapd