Ende der Debatte: Die Krankenkassen schreiben künftig alle Versicherten an und legen Ausweise dazu. Kliniken müssen Experten benennen.

Hamburg/Berlin. In seiner dramatischen Leidensgeschichte hatte der Hamburger Profifußballer Ivan Klasnic gleich doppelt Glück. Der Stürmer, der in Stellingen und beim FC St. Pauli spielte, ehe er zu Werder Bremen, nach Frankreich und England wechselte, litt im Jahr 2007 an einer lebensbedrohlichen Nierenerkrankung. Er brauchte ein neues Organ. Seine Mutter war zur Organspende bereit. Ohne ihre Zustimmung hätte Klasnic lange ausharren müssen. 12 000 Deutsche warten derzeit auf einen passenden Spender, 8000 brauchen eine neue Niere. Nach Krankenhausstatistiken sterben während dieser Wartezeit in Deutschland jeden Tag drei Menschen von dieser Liste.

Klasnics Körper jedoch stieß die Niere seiner Mutter ab. Jetzt sprang Vater Klasnic ein. Er rettete seinem Sohn mit einer Niere das Leben. Klasnic, SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, die Sänger Roland Kaiser (erhielt eine Spenderlunge) und Herbert Grönemeyer (spendete Knochenmark für seinen Bruder Wilhelm) oder Niki Lauda (erhielt eine Niere seiner heutigen Frau) sind nur prominente Beispiel für das Thema, das den Deutschen offenbar auf den Nägeln brennt - das sie aber praktisch ausblenden.

Drei von vier Deutschen ab 14 Jahren stimmen einer Organspende nach dem Tod grundsätzlich zu. Doch nur einer von vieren hat einen Organspendeausweis. Mit der Neuregelung zu Organspenden, die der Bundestag beschlossen hat, soll sich das ändern. Alle Bürger ab 16 werden regelmäßig von ihrer Krankenversicherung befragt, ob sie nach ihrem Tod Organe spenden wollen. Ausweise liegen bei. Zu einer Antwort sind sie nicht verpflichtet.

+++ Das müssen Sie zur Organspende wissen +++

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte dem Abendblatt: "Die Regelung akzeptiert, wenn Menschen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht entscheiden wollen. Aber es wird nicht lockergelassen." Wichtig, so Bahr, seien ihm auch die Abläufe in den Krankenhäusern. "Die verbessern wir durch die Verpflichtung aller Entnahmekliniken, Transplantationsbeauftragte zu benennen. So wird es flächendeckend Ansprechpartner geben, die den Prozess der Organspende im Krankenhaus koordinieren." In einigen Fällen stünden Organe von toten Spendern bereit, doch die Kliniken scheuen den Aufwand und die Kosten.

Um Organe nach dem Tod zu entnehmen, muss eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders oder der Angehörigen vorliegen. Außerdem muss der Hirntod eindeutig festgestellt worden sein. Im Prinzip kann auf jeder Intensivstation ein Organ entnommen werden. Der Transplantationsbeauftragte informiert die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Sie vermittelt unabhängige Fachärzte, die den Hirntod feststellen. Zudem muss der Koordinator die Organe auf Erkrankungen und Infektionen untersuchen lassen. Die Ergebnisse werden an die europäische Organvermittlungsstelle Eurotransplant weitergeleitet. Dort wird mithilfe der Daten der Patienten auf der Warteliste ein passender Empfänger ermittelt. Eines der 50 deutschen Transplantationszentren verständigt dann den Empfänger.

Für Menschen, die zu Lebzeiten beispielsweise eine Niere spenden, sollen auf Kosten der Krankenkassen des Empfängers eine Entgeltfortzahlung und Krankengeld garantiert werden. Auch die Nachsorge wird gesichert.

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Bei den Grünen, die dem Gesetz weitgehend zustimmten, herrscht dennoch Zweifel. Die Krankenkassen könnten in Zukunft die Möglichkeit haben, die Spendebereitschaft auf der neuen elektronischen Gesundheitskarte abzuspeichern. Gesundheitsminister Bahr sagte, der Patient bleibe auch mit dem geplanten Gesetz "Herr seiner Daten". Die Kassen bekämen keinen Zugriff auf die hochsensiblen Gesundheitsdaten.

Die Kirchen lobten: "Die Organspende ist nur dann sittlich annehmbar, wenn der Spender oder die Angehörigen ihre ausdrückliche freie Zustimmung dazu gegeben haben", erklärte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Man müsse akzeptieren, wenn sich Menschen gegen die Organspende entscheiden, sagte der EKD-Bevollmächtigte Bernhard Felmberg.

Der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse (TK), Norbert Klusen, hält die Neuregelung nicht für ausreichend. "Ich hätte mir im Sinne unserer Versicherten eine weiter reichende Lösung gewünscht", sagte Klusen der Nachrichtenagentur dapd. Klusen sagte, es wäre besser gewesen, wenn sich jeder Bürger hätte festlegen müssen.

Am Abend vor der Bundestagsentscheidung hatte Klusen bei einer Preisverleihung für besondere Leistungen im Gesundheitswesen noch einmal im kleinen Kreis erzählt, wie er die Umstände seiner Operation 2008 erlebt habe. Er habe nach der Diagnose, wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung eine neue Leber zu benötigen, einfach weitergearbeitet. Er wartete jahrelang. Elf Tage, nachdem er ein neues Organ bekam, ging er sogar wieder ins Büro. Auch in die Kantine schleppte er sich voller Stolz. Es gab Leber Berliner Art.

Hintergründe sowie Links zu Videos des Hamburger Rappers Flo Bauer, der sich für Organspenden einsetzt unter www.abendblatt.de/organspende