Die tiefen Gräben in der Union werden beim offiziellen Wechsel im Umweltministerium deutlich. Auch Merkel gerät unter Rechtfertigungsdruck.

Berlin. Noch vor zehn Tagen hätte man unwidersprochen behaupten können, dass Angela Merkel und Norbert Röttgen Vertraute sind. Doch in zehn Tagen kann viel geschehen. Und was alles an Kränkungen, Misstrauen und harten Entscheidungen geschehen ist, sieht man den vier Protagonisten an diesem Dienstagmorgen im Schloss Bellevue durchaus an: Da steht ganz links eine Bundeskanzlerin mit totem Blick, der minutenlang starr nach vorn gerichtet ist. Daneben ein Bundespräsident, der versucht, diesem Ereignis mit sorgfältig gewählten Worten etwas Würde und ein Stück weit Normalität zu verleihen. Zu seiner Linken steht ein Bundesumweltminister Sekunden vor der offiziellen Entlassung. Und ganz rechts ein Abgeordneter, der sich Mühe gibt, angesichts seines größten Karrieresprungs bloß nicht zu lächeln.

+++Merkels Endspiel+++

+++Röttgen hinterlässt Altmaier ein schweres Erbe+++

Von allen vieren sieht Ex-Umweltminister Norbert Röttgen noch am unverstelltesten aus. Der große Verlierer der Wahl in Nordrhein-Westfalen und tief gefallene Hoffnungsträger der CDU schaut sich im Saal immer wieder neugierig um, einmal lächelt er auch. Er sucht den Augenkontakt zu Gauck, als dieser erklärt, ein solcher Wechsel in einem hohen Staatsamt sei "Ausdruck der Demokratie, in der wir leben". Politische Verantwortung sei stets "Verantwortung auf Zeit", bekommt der Gefeuerte zu hören.

Nachdem Röttgen nach nur zwei Jahren und acht Monaten im Amt die Entlassungsurkunde erhalten hat, muss er seinen Nachfolger Peter Altmaier zwischen sich und Gauck lassen. Und ganz zum Schluss dieser Zeremonie namens Amtswechsel muss auch Angela Merkel sich bewegen, ihren starren Blick aufgeben, sich ihrem einstigen "Vertrauten" nähern, ihm die Hand schütteln. Das gehört sich so - und ein bisschen Routine ist auch dabei, immerhin ist es schon die vierte Kabinettsumbildung dieser Legislatur.

Doch Merkels Händedruck fällt knapp aus. Sie will den Saal lieber schnell verlassen. Röttgen folgt den drei anderen als Letzter durch die Flügeltüren. Die Bühne für die großen Themen der Energiewende und auch für die Hoffnungen der CDU gehört nun Altmaier, seinem langjährigen Weggefährten. Auf den breiten Schultern des53-Jährigen ruht damit eine große Verantwortung. Der Abschied von der Kernenergie ist eines der größten politischen Projekte der Nachkriegsgeschichte und das wichtigste in Merkels Regierungszeit. Doch es hapert. "Es ist offensichtlich, dass die Umsetzung der Energiewende noch große Anstrengungen erfordert", hatte die Kanzlerin vor Kurzem gesagt. Dass sie Altmaier die Aufgabe zutraut, spricht für ihn - macht die Fallhöhe aber umso größer, sollten auch unter ihm keine substanziellen Fortschritte sichtbar werden.

Die gesamte Zeremonie im Schloss Bellevue ist nach nur zehn Minuten vorbei. Ein schneller Schnitt, der zwar den offiziellen Übergang regelt, die tiefer liegenden Probleme jedoch nicht zu lösen vermag. In den vergangenen zehn Tagen seit der verkorksten NRW-Wahl wurde viel böses Blut erzeugt. Sein plötzlicher Rausschmiss hat Röttgen tief getroffen - so sehr, dass er streuen ließ, er wolle sich nun bald öffentlich zu den Umständen seiner Entlassung äußern, um die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Merkel habe ihm anders als nun geschehen zugesagt, dass er selbst bei einer Wahlniederlage angesichts der Energiewende unverzichtbar sei, hieß es. Ein falsches Spiel der Kanzlerinalso? Wer nun recht hat oder nicht: Die bloße Ankündigung hat die Unionsspitze derartig alarmiert, dass Fraktionschef Volker Kauder (CDU) eingreifen musste, um Röttgen vor einer wie auch immer gearteten Abrechnung zu warnen: "In der Union kann jeder seine Meinung sagen. Vor allem für uns, die wir Verantwortung tragen, muss aber gelten: Zuerst kommen das Land und die Menschen, dann erst die Partei, und ganz zum Schluss komme ich."

Doch bei diesem einen Giftpfeil blieb es nicht. Viele wurden zwischen dem Merkel- und dem Röttgenlager hin- und hergeschossen, und sogar Urgesteine wie der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm meldeten sich zu Wort: "Drei Tage vor der Wahl gilt Röttgen als großer Hoffnungsträger, der gemeinsam mit der Bundeskanzlerin gefeiert wird. Und drei Tage nach der Wahl wird er in die Wüste geschickt", schimpfte er. "Das ist nicht gut für eine christlich-demokratische Partei."

+++Merkel verteidigt Entlassung Röttgens als notwendig+++

+++Norbert Röttgen wehrt sich gegen seine Demontage+++

Vor allem der mitgliederstärkste CDU-Landesverband aus Nordrhein-Westfalen fühlt sich gedemütigt. Allerdings: Der erwartete Aufstand bleibt gestern aus. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat den niedersächsischen Abgeordneten Michael Grosse-Brömer zum neuen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer und damit zum Nachfolger von Peter Altmaier gewählt. Er erhielt 96,4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Etliche CDU-Politiker aus NRW hatten zuvor jedoch bemängelt, dass ihr Landesverband von CDU-Chefin Merkel nicht ausreichend mit Posten bedacht werde.

Rechtfertigen muss sich die Kanzlerin am Nachmittag vor den 237 Mitgliedern der Fraktion allerdings doch. Als sie die Entscheidung getroffen habe, "bin ich mir sehr bewusst gewesen, welche politische und menschliche Tragweite dies haben wird", sagt sie nach Angaben von Teilnehmern. Aber sie sei sich "auch meiner Verantwortung als Kanzlerin bewusst gewesen". Daher habe sie sich für den Neubeginn im Umweltressort entschieden.

Peter Altmaier kündigt seinerseits in der Sitzung an, die Energiewende rasch vorantreiben zu wollen. "Wir brauchen einen nationalen Konsens über die Ziele", da es um mehr gehe "als um die Addition von Einzelinteressen". Es gebe zudem Millionen Menschen in Deutschland, denen Umweltbewusstsein ein großes Anliegen sei. "Ich will auch Sprecher und Lobbyist dieser Menschen sein", so der neue Umweltminister.

Schon wenige Minuten nach seiner Ernennung teilte er über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, worin eine seiner ersten Amtshandlungen bestehen wird. "Auf geht's, an die Arbeit!", schreibt er um 10.11 Uhr, nur wenige Minuten nach dem Erhalt seiner Urkunde. Und "nur am Rande" kommuniziert er dort wenig später einen Auftrag für seine neuen Bediensteten: "Morgen erhält das BMU einen eigenen Twitter-Account!"