Bundespräsident Gauck schafft, was die Kanzlerin nicht vermochte oder nicht wollte: einen würdevollen Abschied für Bundesumweltminister Röttgen. Zurück bleibt jede Menge Unbehagen über die Umstände des Rauswurfes – und ein großer Berg an Aufgaben für Nachfolger Altmaier.

Berlin. Die Hand geben sie sich immerhin noch. Zielstrebig geht Angela Merkel auf Norbert Röttgen zu. Ein kurzer, freundlicher Blick, das muss reichen. Röttgen hat bereits seine Entlassungsurkunde unter den Arm geklemmt. Dann wendet sich die Kanzlerin dem neuen Bundesumweltminister Peter Altmaier zu, dessen Hand sie länger drückt und dem sie alles Gute wünscht. Es ist ein seltsames Schauspiel, das da am Dienstag im Großen Saal von Schloss Bellevue präsentiert wird.

Von der Mimik her sieht es fast so aus, als sei gerade Angela Merkel entlassen worden. Und nicht Röttgen. Wie versteinert blickt die Kanzlerin geradeaus, während Bundespräsident Joachim Gauck die Verdienste des von ihr aus dem Kabinett geworfenen Umweltministers bei Energiewende, Atomausstieg, Klimaschutz und Müllrecycling würdigt. Es mag abgedroschen klingen, aber Röttgen macht gute Miene zum bösen Spiel. Manchmal versucht er zu lächeln, aber er schluckt auch merklich, als Gauck ihm für seine Verdienste dankt.

„Verantwortung ist Verantwortung auf Zeit“, sagt Gauck. Es folgt eine Eloge auf Röttgen. „Früher als andere haben Sie erkannt, dass es Zeit für die Energiewende ist“, sagt Gauck und erinnert auch daran, dass Röttgen einen möglichen Neustart für eine bundesweite Suche nach einem Atommüll-Endlager mit angestoßen hat. Mit seinem Einsatz für Arten- und Klimaschutz habe er sich weltweit einen Namen gemacht.

Als Präsident ist es nicht Gaucks Aufgabe, die umstrittene Personalrochade der CDU zu kommentieren. Aber anders als die Kanzlerin findet er warme, inhaltsvolle Worte für die Verdienste des einstigen Merkel-Lieblings. Entsprechend erfreut wirkt Röttgen. „Herzlichen Dank für Ihre Worte. Ich danke Ihnen sehr“, sagt der CDU-Politiker. An der Saalseite steht seine Frau Ebba, sie sieht angespannt aus.

Merkel, gerade per Nachtflug aus den USA zurückgekehrt, wirkt erschöpft und distanziert. Sie ist bemüht, dass der Pflichttermin rasch über die Bühne geht. Beim politischen „Familienfoto“ von Vorgänger und Nachfolger, Kanzlerin und Bundespräsident weist Röttgen Altmaier sogar noch den Weg neben Gauck, er rückt nach außen.

Als letzter geht er durch die weiße Flügeltür, um 10.06 Uhr endet vorerst eine einst sehr hoffnungsvolle politische Karriere. Um 10.10 Uhr fährt Altmaier im Dienstwagen als Minister davon, wenig später steht der Wagen bereits vor dem Bundesumweltministerium nahe dem Potsdamer Platz. Gauck gab ihm mit auf den Weg, dass nun dicke Bretter zu bohren seien: Energiewende, Endlagersuche und der Versuch, ein globales, verbindliches Klimaschutzabkommen durchzusetzen. Zudem appellierte er mit Blick auf die Energiewende: „Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen gemeinsam handeln, um das gesetzte Ziel zu erreichen.“ Röttgen hatte sich mehrfach mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) aufgerieben, was dem Projekt schadete.

Selten ist ein Politiker binnen einer Woche so abgestürzt wie Röttgen. Eine Woche vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen galt der promovierte Jurist noch als guter Umweltminister und möglicher Kanzlerkandidat. Nun ist er nur noch Bundestagsabgeordneter – aber immerhin auch noch CDU-Vize. 2013 will er wieder für den Bundestag kandidieren. So richtig los ist Merkel Röttgen also noch lange nicht.

Er selbst war fest davon ausgegangen, dass er nach seiner historischen Schlappe von 26,3 Prozent als CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen mit seinem Rücktritt als Landeschef genug Buße getan hatte. Dann kam ein einstündiges Gespräch im Kanzleramt am Dienstag nach der Wahl – und Röttgen bekam nur eine Nacht Bedenkzeit, ob er seinen Rücktritt erklären oder sich feuern lassen will. Am Mittwoch war dann alles vorbei. Den Gefallen, selbst zu gehen, tat er Merkel nicht. Seitdem wird viel spekuliert, was genau abgelaufen ist.

Etwa ob Merkel Röttgen empfohlen hatte, sich auch zu einer Rolle als Oppositionsführer in Düsseldorf für den Fall einer Wahlniederlage zu bekennen und sie ihn dann wegen der Energiewende für unentbehrlich als Bundesumweltminister erklärt hätte. Dann würde der jetzige Meinungsumschwung, dass Röttgen Ballast für die Energiewende sei, unplausibel wirken. In Merkels Umfeld wird bestritten, dass es ein solches Angebot gegeben hat. Die öffentlich dargelegte Argumentation für den Rausschmiss ist, dass Röttgen die Energiewende nicht mehr gut

durchsetzen könne, wegen des NRW-Fiaskos fehle ihm die Autorität.

Für das Fiasko, darüber besteht Einigkeit, ist er allein der Hauptverantwortliche, weil er sich eben nicht klar zu Düsseldorf bekannte und die Rückfahrkarte nach Berlin nicht abgeben wollte. Sicher hat mangelnde Loyalität eine Rolle gespielt, besonders Röttgens Versuch, die NRW-Wahl auch zu einem Votum über Merkels Euro-Kurs zu machen, stieß bitter auf. Führende CDU-Politiker sahen darin den Versuch, Schuld für eine Klatsche auf Merkel mitabzuwälzen.

In der Unions-Fraktion jedenfalls gärt es ziemlich. Röttgen hat weiter Unterstützer, abschreiben sollte man ihn nicht. Altmaier muss derweil zeigen, dass er zum Gestalter der Energiewende taugt. Eine der ersten Amtshandlungen galt einem anderen Feld: Der Twitter-Fan lässt einen eigenen Account für das Umweltministerium einrichten.