Die Strafverfolgung ist schwierig. Betroffene sind oft nicht bereit, Auskunft über die Hintermänner zu geben oder auszusagen.

Berlin. Die Sicherheitsbehörden haben immer größere Schwierigkeiten, Menschenhandel und organisierter Prostitution in Deutschland auf die Spur zu kommen. Die Anzahl der betroffenen Frauen und Mädchen stieg 2009 um fünf Prozent auf 710 gegenüber dem Vorjahr, wie aus dem am Freitag in Berlin vorgestellten „Bundeslagebild Menschenhandel 2009“ des Bundeskriminalamtes (BKA) hervorgeht.

Erschwert wird die Strafverfolgung des Menschenhandels laut BKA durch die Tatsache, dass sich die Hintermänner in vielen Fällen im Ausland aufhalten. Es lasse sich auch kaum erkennen, in welchen Fällen es sich um Scheinselbstständigkeit und Ausbeute handelt, weil sich die oft osteuropäischen Frauen meist legal in Deutschland aufhielten und der Prostitution als selbstständige Dienstleistung nachkämen, sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke.

Einzige Anhaltspunkte zur Ergreifung der Täter seien die Prostituierten selbst. Sie seien aber meistens nicht bereit auszusagen: „Menschenhandel ist ein Kriminalitätsphänomen, bei dem die Täter ein Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen und ihre Opfer durch physische und psychische Gewalt gefügig machen“, sagte Ziercke. Der Wunsch nach einem besseren Leben in Deutschland dominiere. Einschüchterungen und eine auferlegte „Schuldenfalle“ nähmen die Frauen deshalb hin. Weit mehr Frauen als erwartet befänden sich freiwillig in die Abhängigkeit, erklärte Ziercke.

Vergewaltigungen, Todesdrohungen und gefährliche Körperverletzung kämen immer häufiger vor. Durch Gewalt und psychologische Abhängigkeit machten die Täter sich die Opfer gefügig. Sie hätten keine Kenntnisse der deutschen Rechtslage und hätten Probleme mit Schrift und Sprache. Hinzu kommen Angst und mangelndes Vertrauen in die Polizei. Noch weniger Aussagebereitschaft ergibt sich dem BKA zufolge, wenn ein Opfer sich der organisierten Kriminalität ausgeliefert fühlt. Besondere Formen der Einschüchterungen beobachtete das BKA bei Opfern aus schwarzafrikanischen Ländern wie Nigeria. Hier werden die Frauen durch Voodoo-Rituale gezwungen, ein Schweigegelübde abzulegen - mit der Androhung von Krankheit oder Tod bei Nichteinhaltung.

Die Betroffenen seien nicht bereit, Auskunft über die Hintermänner zu geben oder zögen ihre anfängliche Aussage wieder zurück. Oft komme es auch vor, dass sie während der laufenden Ermittlungsverfahren plötzlich untertauchen. Laut BKA-Bericht kam es im vergangenen Jahr zu 534 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zu Zwecken der Prostitution - elf Prozent mehr als 2008. Der Anstieg sei bedeutsam, weil die Menschenwürde der Opfer in erheblicher Weise verletzt werde, und diese sich nur schwer zur Wehr setzen könnten, sagte Ziercke. Etwa 20 Prozent der Opfer waren minderjährig, die Zahl der unter 14-Jährigen verdoppelte sich gegenüber 2008. 36 Prozent der Täter sind Deutsche. Die Täter aus dem Ausland kommen meist aus Bulgarien, Rumänien und der Türkei. Laut BKA haben sich zudem Hinweise gemehrt, dass sich bundes- und europaweit nigerianische Gruppierungen etabliert haben. Im vergangenen Jahr handelte es sich um 34 erfasste nigerianische Opfer in Deutschland.

Eine umfassende Beratung verbessert dem BKA-Präsidenten zufolge die Bereitschaft der Opfer, eine Aussage gegen die Drahtzieher zu machen. Nötig sei daher, eine bessere Vermittlung an Beratungs- und Unterstützungsstellen sowie eine ausreichende Aufklärung der Opfer über Rechte und die Rolle der Polizei. Im vergangenen Jahr wurde ein Traumaleitfaden entwickelt, der Polizei, Justiz und kommunale Verwaltung beim Umgang mit den Menschenhandelsopfern helfen soll. Eine Unterabteilung des Bundesfrauenministeriums arbeitet daher daran, Opferschutz und Ausstiegshilfen zu verbessern. Dazu gehöre eine ausreichende psychologische Betreuung seitens der Polizei und Fachberatungsstellen, erklärte Unterabteilungsleiterin Renate Augstein.

Es sei nötig, die Regelungen für die Kontrollen von Prostitutionsstätten zu verbessern, sagte Augstein. Für die erwartete EU-Richtlinie zum Menschenhandel wolle die Unterabteilung Vorschläge erarbeiten, die einer praktischen Strafverfolgung gerecht werden.