Auch 50 Jahre nach dem Ereignis ist das Attentat auf John F. Kennedy weltweit vielen Menschen in Erinnerung. Obwohl er nur drei Jahre im Amt war, wurde er zum Mythos und gilt neben Abraham Lincoln als größter Staatschef der amerikanischen Geschichte.

Der 22. November 1963 war ein strahlend schöner Tag in Dallas, Texas. Für die Stadtbewohner war es ein ganz besonderer Tag, denn der Präsident der Vereinigten Staaten hatte seinen Besuch angekündigt. Niemand konnte ahnen, dass sich dieses Datum als Trauma tief in die Weltgeschichte einbrennen sollte. Ähnlich wie beim 11. September 2001 weiß jeder Mensch, der alt genug ist, was er an jenem Tag getan hat.

John F. Kennedy, der 35. Präsident der USA, ein Demokrat aus reicher, mächtiger Familie, stets druckvoll gefördert von seinem Vater, war mit seiner schönen Frau Jacqueline Bouvier-Kennedy nach Dallas gefahren, um im konservativen Süden Stimmung für seine Wiederwahl 1964 zu machen und innenpolitische Zwistigkeiten innerhalb der Demokratischen Partei zu schlichten.

Den Republikanern in Texas, ja selbst vielen Demokraten war Kennedy mit seinem sozialen Anspruch und dem klaren Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Schwarzen höchst suspekt. Da half es kaum, dass Vizepräsident Lyndon Baines Johnson selbst aus Texas kam. Es war schließlich die Anwesenheit der eleganten „Jackie“ Kennedy, die ihren Mann zuvor noch nie auf einer Wahlkampfreise begleitet hatte, die die Stimmung in Dallas, der „Brutstätte des Rechts-Konservatismus“, dann freundlicher werden ließ als befürchtet.

Die Kennedys stiegen am Flughafen Dallas Love Field in die präsidiale Limousine, einen offenen 1961er Lincoln Continental X-100, der extra aus Washington eingeflogen worden war. Außer den Kennedys saßen darin der Gouverneur von Texas, John Connally und seine Frau, sowie zwei Secret-Service-Agenten. Die Fahrt sollte zum Einkaufszentrum Dallas Trade Mart gehen, wo Kennedy eine Rede halten wollte. Die Strecke war bekannt und von einer dichten Menschenmenge gesäumt.

Nur ein paar Tage zuvor, am 18. November, war eine Fahrt des Präsidenten durch Miami abgesagt worden – es waren Attentatspläne entdeckt worden. John F. Kennedy bemerkte zu seinem Assistenten Kenneth O’Donnell: „Wenn jemand wirklich den Präsidenten der USA erschießen wollte, wäre das keine schwierige Sache: Man müsste nur eines Tages mit einem Gewehr mit Zielfernrohr auf ein hohes Gebäude hinauf – niemand könnte etwas gegen einen solchen Anschlag unternehmen.“

Gegen 12.30 fuhr der Konvoi auf der Houston Street auf das Schulbuchdepot des Staates Texas zu. Frau Connally drehte sich zu Kennedy und sagte angesichts der jubelnden Menge: „Mr. President, man kann nicht sagen, dass Dallas Sie nicht liebt.“ Kennedy entgegnete: „Nein, das kann man wirklich nicht sagen.“ Sekunden später durchschlug eine Gewehrkugel Kennedys Hals sowie die Brust von John Connally, dessen Hand und Oberschenkel. Der Gouverneur sank auf den Schoß seiner Frau. Im Krankenhaus konnte er später gerettet werden. Entsetzt wandte sich Jackie zu ihrem schwer verletzten Mann um. Kennedy ging nicht in Deckung, sondern blieb wie ein Puppe aufrecht sitzen. Er trug ein steifes Korsett.

Dann traf eine zweite Kugel seinen Kopf, ließ ihn zurückfliegen und die rechte Schädelhälfte zerplatzen. Jacqueline Kennedy versuchte nun panisch über das Heck des Wagen zu fliehen, aber ein Secret-Service-Agent drückte sie zurück. Der Lincoln raste zum nahen Parkland Memorial Hospital, wo 14 Chirurgen Kennedy notoperierten – was angesichts seiner schweren Kopfverletzung aussichtslos war. Um 13 Uhr wurde der 35. Präsident der USA für tot erklärt; sein Leichnam wurde nach Washington übergeführt. Noch an Bord der „Air Force One“ legte Johnson den Amtseid als 36. Präsident ab.

Amerika stand unter Schock – und mit ihm fast die ganze Welt. Dutzende Millionen Amerikaner litten in der folgenden Zeit an posttraumatischen Störungen. Die Fernsehlegende Walter Cronkite verkündete die Todesnachricht mit feuchten Augen. Am übernächsten Tag sollte eine Viertelmillion verstörte Berliner am Rathaus Schöneberg zusammenströmen – dort, wo John F. Kennedy erst am 26. Juni seine berühmte Lob-Rede auf Berlin mit dem unsterblichen Zitat „Ich bin ein Berliner“ gehalten hatte.

In Dallas hatten mehrere Augenzeugen einen Gewehrlauf aus dem fünften Stock des Schulbuchlagers ragen sehen. Dort fand die Polizei die Tatwaffe, ein Mannlicher-Carcano-Gewehr aus dem Zweiten Weltkrieg mit Zielfernrohr. Der Käufer, ein 24-jähriger Marxist namens Lee Harvey Oswald, der mehrere Jahre in der Sowjetunion gelebt hatte, wurde verhaftet – sein Handabdruck fand sich auf der Waffe. Aufgrund des enormen Presserummels wurde beschlossen, Oswald am 24. November aus dem Polizeigewahrsam ins Bezirksgefängnis von Dallas zu überstellen. Unverständlicherweise wurde auch dieser Termin bekannt gemacht. In der Tiefgarage des Polizeihauptquartiers trat der Gruppe aus Polizisten und Oswald plötzlich ein Nachtclubbesitzer mit Verbindungen zur Mafia in den Weg: Jack Ruby. Bevor die Polizisten reagieren konnten, zog Ruby einen Revolver und schoss Oswald mit den Worten „du hast meinen Präsidenten getötet, du Ratte“ in den Bauch. Oswald verblutete kurz darauf im Krankenhaus; Ruby wurde wegen des Mordes zum Tode verurteilt, starb jedoch in der Haft, angeblich an einer Lungenembolie.

Es stellte sich heraus, dass ein Amateurfilmer, Abraham Zapruder, mit seiner Acht-Millimeter-Kamera an der Houston Street gestanden und den Mord an Kennedy gefilmt hatte. Der wackelige Streifen wurde zu einem wichtigen Element der folgenden Untersuchung. Schon früh kursierten Verschwörungstheorien; rätselhaft erschien vielen bereits die Tatsache, dass nur zwei Kugeln sieben schwere Wunden bei zwei Menschen verursacht haben sollten. Am 29. November wurde eine Untersuchungskommission unter Vorsitz des Supreme-Court-Richters Earl Warren einberufen. Nach nur zehnmonatiger Arbeit legte sie im September 1964 in 26 Bänden ihr Ergebnis aufgrund der Befragung von mehr als 600 Zeugen und der Bewertung von 3000 Beweisstücken vor. Resultat: Lee Harvey Oswald war ein Einzeltäter.

Der Warren-Report steht bis heute in der Kritik, voreingenommen gewesen zu sein; selbst Präsident Johnson vertrat privat diese Ansicht. Vor allem der US-Geheimdienst CIA, aber auch die Mafia, die kubanische Regierung und zahlreiche andere Akteure kamen als Drahtzieher in Verdacht. Die wilden oder ernsthaften Spekulationen und Untersuchungen halten bis heute an. Vor seinem plötzlichen Tod sagte Jack Ruby, die Welt werde niemals die Wahrheit erfahren, dies würden die Verantwortliche, „die so viel zu gewinnen haben und ein so starkes Motiv haben“, nicht zulassen.

Kennedy war schon zu Lebzeiten eine strahlende, charismatische Gestalt, doch sein Tod überhöhte ihn zu einem Mythos. In Umfragen gilt er neben Abraham Lincoln als größter Präsident der amerikanischen Geschichte – und dies, obwohl er nur drei Jahre lang amtierte und allenfalls ein Drittel seiner Vorhaben umsetzen konnte. Und es war John F. Kennedy, der das unselige Vietnam-Abenteuer der USA anschob. Seine Witwe Jackie sorgte selbst für den Camelot-Mythos, der das Weiße Haus unter „JFK“ mit dem sagenhaften Hof des legendären englischen Königs Artus und seiner Tafelrunde verglich. Erst nach und nach wurde bekannt, dass Kennedy nicht nur zahlreiche Affären hatte (darunter mit Marilyn Monroe), sondern sich auch regelmäßig Prostituierte ins Weiße Haus kommen ließ. Erstaunlicherweise verzeiht das prüde Amerika seinem Helden diese Eskapaden. Und Amerika, das starke Führer liebt, sieht auch darüber hinweg, dass Kennedy ein körperliches Wrack war; er litt an unerträglichen chronischen Schmerzen, einem kaputten Rückgrat, Osteoporose, Asthma, einer Unterfunktion der Nebenniere und Allergien. Die angebliche Sportskanone trug außer dem Korsett auch orthopädische Schuhe und nahm bis zu fünf heiße Bäder am Tag sowie Unmengen an Medikamenten, um seine Schmerzen zu lindern.

John F. Kennedy verkörperte die Hoffnung der Amerikaner auf eine Erneuerung ihres Landes. Sein Mythos speist sich nicht zuletzt aus der optimistischen Annahme, er hätte geradezu politische Wunder bewirken können, wenn er nicht ermordet worden wäre.