Der berüchtigte “Schattengouverneur von Kundus“ geht dem Kommando Spezialkräfte und afghanischen Truppen ins Netz.

Hamburg. Mit dem afghanischen Talibanführer Mullah Abdul Rahman hatte die Bundeswehr seit Langem eine Rechnung offen. Der "Schatten-Gouverneur" der Provinz Kundus, die im deutschen Zuständigkeitsbereich liegt, soll mitverantwortlich für den Überfall gewesen sein, bei dem am Karfreitag 2010 drei Bundeswehrsoldaten bei Char Darrah in einen Hinterhalt gelockt und ermordet wurden.

Rahman soll auch im September 2009 den Befehl erteilt haben, zwei Tanklaster zu entführen, die Treibstoff für die Nato transportierten. Sie sollten offenbar zu rollenden Bomben für verheerende Angriffe auf das deutsche Feldlager in Kundus umgebaut werden. Als der deutsche Oberst Georg Klein bei der US-Luftwaffe einen Bombenangriff auf die gekaperten Laster anforderte, starben dabei auch zahlreiche Zivilisten. Der Angriff von Kundus gilt als Trauma in der mehr als zehnjährigen Geschichte des deutschen Einsatzes am Hindukusch.

Mullah Abdul Rahman, der zudem den Bau der berüchtigten "improvisierten Sprengsätze" (IED) anordnete, die schon viele westliche und afghanische Soldaten zerrissen haben, und auch Selbstmordattentäter in Marsch setzte, konnte nun offenbar mithilfe der deutschen Eliteeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) gefasst werden. Die Taliban dementierten das zwar - "kein Individuum namens Mullah Abdul Rahman ist in Kundus festgenommen worden", behauptete deren Sprecher Sabihullah Mudschahid - aber die afghanische Polizei und die Provinzregierung in Kundus bestätigten den Einsatz und die Festnahme des Talibanführers und ehemaligen Feldkommandeurs. Rahmans beide Vorgänger als "Schatten-Gouverneure" wurden ebenfalls festgenommen beziehungsweise getötet. Die Taliban haben in vielen der 34 afghanischen Provinzen derartige "Gouverneure" eingesetzt, die die Aufständischen dort führen. Mullah Rahman hatte diese Position seit dem Frühjahr 2010 inne. Wie die "Bild"-Zeitung berichtete, erfolgte der Zugriff unweit der Ortschaft Ghunday Kalay in der Provinz Kundus. An der Aktion soll eine afghanische paramilitärische Polizeieinheit, "Rapid Response Unit" (RRU, Schnelle Eingreiftruppe), beteiligt und von den Deutschen unterstützt worden sein.

Die Informationen über den Aufenthaltsort Rahmans seien von den Deutschen gekommen, erklärte ein Sprecher des Gouverneurs. Üblicherweise stellen die Nato-geführte Schutztruppe Isaf und die afghanische Regierung aus politischen Gründen den Anteil der afghanischen Kräfte bei derartigen Einsätzen weit in den Vordergrund. Ab 2014, wenn die meisten westlichen Truppen abgezogen sein werden, soll die afghanische Armee weitgehend allein den Kampf gegen die Aufständischen und die Terroristen von al-Qaida führen. Einige Einheiten gelten bereits als kampfstark, doch kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, bei denen Armeeangehörige oder Polizisten die Waffe gegen westliche Soldaten richten.

Die Provinz Kundus war früher einmal vergleichsweise ruhig, doch haben die Taliban in den vergangenen Jahren ihre Aktivität hier erheblich erhöht. Die meisten der 52 Todesopfer, die die Bundeswehr zu beklagen hat, kamen in dieser Provinz ums Leben. Die Ortschaft Ghunday Kalay ist nicht weit von Char Darrah entfernt, wo 2010 die drei Deutschen im Hinterhalt starben. Im Ort fand gerade ein Treffen militanter Extremisten statt, als KSK und Afghanen zugriffen.

Mullah Rahman wurde in Kabul den afghanischen Behörden übergeben. "Nach afghanischen, bislang unbestätigten Angaben soll es sich um einen Mullah Abdul Rahman handeln", sagte eine Sprecherin des Einsatzführungskommandos in Potsdam vorsichtig. Anders als etwa US-Spezialeinheiten darf das KSK offiziell keine "Capture or kill"-Missionen ausführen, bei denen die Zielperson auch getötet werden kann. Die Auslieferung von gefassten Taliban-Kämpfern an die Afghanen ist allerdings angesichts der enormen Korruption im Lande und der Durchsetzung auch der Armee und Polizei mit radikalen Islamisten problematisch.

Einsätze des KSK unterliegen der Geheimhaltung. Diese Spezialtruppe des Heeres wurde ab Ende 1996 aufgestellt und soll rund 1100 Mann umfassen, von denen aber nur gut ein Drittel Kommandosoldaten für den Kampfeinsatz sind. Das KSK orientiert sich an befreundeten Kräften wie dem britischen "Special Air Service" (SAS) und soll deutsche Einrichtungen und Personen im Ausland schützen sowie notfalls aus Geiselhaft befreien können. Auch soll die Elitetruppe Informationen und "Ziele hoher Priorität" im Ausland bekämpfen können. Das "Kommando Spezialkräfte" mit Sitz in Calw wurde aufgestellt, nachdem 1994 deutsche Staatsbürger in Ruanda im Zusammenhang mit dem dortigen Völkermord in Gefahr gerieten und von belgischen Para-Commandos herausgeholt werden mussten, weil der Bundeswehr keine geeignete Truppe zur Verfügung stand.