Die Isaf verstärkt den Schutz ihrer Soldaten vor Attentätern aus den Reihen der afghanischen Sicherheitskräfte. Der Trend ist alarmierend.

Neu Delhi. Die Angriffe treffen die Strategie der Nato in Afghanistan an ihrer schwächsten Stelle: Bis zum offiziellen Ende des Kampfeinsatzes am Hindukusch 2014 müssen die afghanischen Sicherheitskräfte so gut ausgebildet sein, dass sie die Verantwortung übernehmen können. Für das Training ist eine enge Zusammenarbeit der internationalen Truppen mit den afghanischen Partnern notwendig. Grundlage dafür ist Vertrauen – das jedes Mal, wenn Afghanen in Uniform ausländische Soldaten töten, schweren Schaden nimmt. Die Zahl dieser Fälle hat dramatisch zugenommen.

In den vergangenen eineinhalb Wochen starben acht US-Soldaten bei fünf solchen Angriffen, die im Militärjargon „Green on Blue“ genannt werden – in Abwandlung von „Blue on Blue“, wenn Nato-Soldaten versehentlich auf Verbündete schießen. Inzwischen ist jeder achte Gefallene auf „Green on Blue“ zurückzuführen. Seit Jahresbeginn registrierte die Nato-geführte Schutztruppe Isaf 31 solcher Vorfälle, bei denen 39 Soldaten getötet wurden. Das ist mehr als im ganzen vergangenen Jahr, als 35 Soldaten starben, darunter drei Deutsche.

Nach den jüngsten Fällen ordnete Isaf-Kommandeur John Allen an, dass alle Soldaten künftig jederzeit geladene Waffen tragen müssen. Bei der Bundeswehr führte schon bislang jeder Soldat auch im Lager seine geladene P8-Pistole mit sich. US-Soldaten hatten im Camp ihr M4-Sturmgewehr bei sich, das Magazin allerdings im Munitionsbeutel. Seit Monaten sind auch bei der Bundeswehr „Schutzengel“ im Einsatz: Soldaten halten Wacht, wenn ihre Kameraden etwa beim Essen abgelenkt sind. Die „New York Times“ schreibt, dass solche Isaf-„Schutzengel“ nun bei jeder gemeinsamen Mission und jedem Treffen die Afghanen beobachten sollten – um im Angriffsfall auf sie zu schießen.

Aus afghanischen Geheimdienstkreisen heißt es, in vielen Einheiten der einheimischen Sicherheitskräfte seien Spione im Einsatz, um etwaige Attentäter auszuspähen. Auch die Zugangsvoraussetzungen zur afghanischen Armee und Polizei wurden mit der zunehmenden „Green on Blue“-Bedrohung verschärft. Rekruten müssen nach Angaben der Nato zwei Gewährsmänner wie Dorfälteste oder Regierungsvertreter aufbieten, die für sie bürgen. Polizeibewerber werden von der Kriminalpolizei auf kriminelle oder terroristische Hintergründe hin durchleuchtet, Armeerekruten von einem vierköpfigen Gremium.

Die mörderische Tendenz haben die Maßnahmen bislang nicht stoppen können. „Die Bedrohung von innen ist ein Thema von wachsender Bedeutung für Koalitionstruppen und afghanische Sicherheitskräfte“, warnte schon zu Jahresbeginn ein Pentagon-Bericht. „Sie schürt während einer kritischen Zeit in Afghanistan Misstrauen zwischen unseren Kräften und ihren afghanischen Gegenüber.“

Das ist Wasser auf die Mühlen der Taliban. Ihr Anführer Mullah Mohammad Omar prahlte Ende vergangener Woche, die Aufständischen hätten die afghanischen Sicherheitskräfte unterwandert. „Dank der Infiltration sind die Mudschaheddin in der Lage, sicher in Basen, Büros und Geheimdienstzentralen des Feindes einzudringen“, verkündete er in einer seiner seltenen Botschaften.

Doch Infiltration ist nur eines der Probleme. Zwar gibt es Unterwanderung, doch die Isaf führt die Mehrheit der „Green on Blue“-Fälle auf Faktoren wie Stress oder persönliche Animositäten zurück. Gute Nachrichten sind das allerdings nicht. Eine interne Isaf-Untersuchung – deren Schlussfolgerungen sich die Schutztruppe später nicht zu eigen machen wollte – kam im vergangenen Mai zu einem vernichtenden Ergebnis, was das Verhältnis zwischen amerikanischen Soldaten und afghanischen Sicherheitskräften angeht.

Das Papier macht „eine Krise des Vertrauens und der kulturellen Unvereinbarkeit“ aus und warnt vor einer „wachsenden systemischen Bedrohung“ durch die Morde. Afghanen nähmen ihre ausländischen Partner als „einen Haufen brutaler, rücksichtsloser, aufdringlicher, arroganter, eigennütziger, profaner, ungläubiger Tyrannen“ wahr. US-Soldaten sähen ihre afghanischen Verbündeten als „einen Haufen feiger, unfähiger, begriffsstutziger, dieberischer, selbstgefälliger, fauler, kiffender, verräterischer und mörderischer Radikaler“.

Das Problem sei kein Ergebnis der Taliban-Propaganda, sondern hausgemacht, meint der Autor der Studie. Rasende Isaf-Konvois, die nicht für Kinder bremsten, und nächtliche Razzien von US-Soldaten hätten in der Vergangenheit auch bei afghanischen Soldaten und Polizisten Hass geschürt. Dass die Isaf beim Aufbau der einheimischen Sicherheitskräfte mehr Wert auf Quantität als auf Qualität gelegt habe, habe sich als „selbstzerstörerisch“ erwiesen. „Wir sind sehr oft selber unsere größten Feinde dabei gewesen, die Loyalität der Afghanen zu gewinnen.“