Hoher Taliban-Führer nahe Kundus bei Spezialoperation festgesetzt – Afghanische Armee wünscht sich noch längere deutsche Hilfen

Hazrat-e Sultan. Das Gerücht macht schnell die Runde in Nordafghanistan: Nahe Kundus soll einer der wichtigsten regionalen Taliban-Führer von afghanischen und deutschen Spezialkräften gefasst worden sein. Eine offizielle Bestätigung gibt es zunächst nicht. Dennoch sind Bundeswehr-Soldaten geneigt, den ersten Meldungen zu glauben. „Das kann ich mir gut vorstellen“, sagt ein Hauptfeldwebel im Außenposten Hazrat-e Sultan.

Schließlich sucht die Bundeswehr seit 2009 nach den Drahtziehern der Entführung zweier Tanklaster, die zu dem von einem deutschen Oberst angeordneten Luftschlag mit zahlreichen zivilen Opfern geführt hatte. Der Kopf dahinter soll Mullah Abdul Rahman sein.

Über Einsätze von Spezialkräften gibt die Bundeswehr grundsätzlich keine Auskunft. Das ist auch in diesem Fall nicht anders. Nur Gerüchte dringen durch: Der Mann soll Ende vergangener Woche in einem Dorf im Distrikt Char Darreh gefasst worden sei. Dieser gilt als Taliban-Rückzugsgebiet. Seit 2010 versucht die Bundeswehr zusammen mit der afghanischen Armee und Polizei, dieses „verlorene Gebiet“ zurückzugewinnen und vor allem zu sichern.

Ist der Taliban-Schattengouverneur gefasst?

„Eines der Hauptprobleme ist heute nicht mehr, in solche Gebiete einzudringen“, erläutert ein Bundeswehroffizier. Denn die afghanischen Spezialkräfte gelten als gut ausgebildet und einsatzbereit. Ihnen fehle es zuweilen lediglich an logistischer Unterstützung, heißt es. Im Falle der Festnahme am Freitag soll ein deutscher Transporthubschrauber vom Typ CH-53 geholfen haben. Eine Bestätigung der Bundeswehr oder der Internationalen Schutztruppe ISAF gibt es dafür nicht. Offiziell wird nur gesagt, am vergangenen Freitag sei bei Kundus ein Taliban-Führer in einer „gemeinsamen Operation von afghanischen Kräften und Koalitionsstreitkräften“ festgenommen worden.

Was jetzt folgt, ist polizeiliche Kleinarbeit: Wurde wirklich Abdul Rahman festgenommen? Handelt es sich dabei wirklich um den gesuchten Mullah Abdul Rahman, der als Schattengouverneur von Kundus eingeschätzt wird. Und ist es wirklich der Drahtzieher der Tanklasterentführung von 2009? Damals hatte der von Oberst Georg Klein angeordnete Luftschlag eine riesige Debatte in Deutschland ausgelöst, war in Afghanistan aber weitgehend mit Respekt zur Kenntnis genommen worden. Vor drei Jahren noch schienen sich die Taliban schließlich im Raum Kundus nicht nur festzusetzen, sondern wollten von der nordafghanischen Provinzhauptstadt aus die „Wende“ im Kampf gegen die ausländischen Truppen einläuten.

„Ihr geht zu früh!“

Inzwischen hat die ISAF, hat auch die Bundeswehr reagiert und die Ausbildung der afghanischen Armee im deutschen Verantwortungsbereich im Norden enorm vorangetrieben. Ein Zeugnis legt das kleine Feldlager Hazrat-e Sultan ab, das vor eineinhalb Jahren gebaut wurde - und nach vollbrachter Beraterhilfe nun zum Monatsende wieder geschlossen wird. „Unsere Aufgabe ist hier erfüllt“, sagt Oberstleutnant Ralf Linne, der Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 371 aus dem sächsischen Marienberg. Er hatte noch bis vor wenigen Tagen das afghanische „Nachbarbataillon“ beraten.

Heute üben die afghanischen Soldaten allein gleich neben dem kleinen Bundeswehrfeldlager. Während im Camp die deutschen Soldaten mit dem Abbau beschäftigt sind, arbeitet Oberstleutnant Maltan Kutschi am Aufbau der Fähigkeiten seiner Soldaten, die zur 3. Brigade des 209. ANA-Korps gehören. Denn grundsätzlich geht es heute darum, den Raum langfristig zu sichern. Dazu werden entweder ständige Polizeiposten errichtet oder in gefährdeten Gebieten ganze Bataillone der afghanischen Armee stationiert. „Wir trainieren hier jeden Tag und werden jeden Tag etwas besser“, sagt der afghanische Offizier stolz. Nur mit dem Abzug der Deutschen ist er unzufrieden: „Ihr geht zu früh. Wir sind noch nicht in der Lage, alles allein zu machen.“ Der Fall Kundus scheint ihm recht zu geben.