Das Feldlager in Feisabad wird abgebaut und an afghanische Polizisten übergeben. Zurück bleiben zivile Helfer - und die Bevölkerung.

Feisabad. "Vor ein paar Wochen hab ich hier noch meinen Kaffee getrunken und mit Kameraden zusammengesessen." Jetzt steht Oberleutnant Marius P. vor einer Ruine, vor einem zehn mal 20 Meter großen Feld mit Sand und Steinen und schüttelt leicht den Kopf. Viel mehr ist nicht übrig geblieben von der Betreuungseinrichtung P8, sie verschwand als eines der ersten Gebäude im Bundeswehrcamp im nordafghanischen Feisabad. "Das Lager wird jeden Tag kahler", sagt Marius, der stellvertretende Chef des rund 20 Mann starken Abbauzugs. Seit Monaten schieben er und seine Kameraden Überstunden, doch die letzten Tage sind gezählt: Bis Ende des Monats müssen sie 800 Tonnen Material in 450 Container verpackt und 150 Fahrzeuge abtransportiert haben, bei 40 Grad im Schatten. Ein Knochenjob mit Sonnenbrandgarantie. Trotzdem sagt der Oberleutnant: "Dies ist einer der sinnvollsten Aufträge, die ich je hatte." Weil er bedeutet, dass es bald nach Hause geht. Seit Wochen gibt es im Lager kaum ein anderes Gesprächsthema.

Mit der Schließung des Provincial Reconstruction Teams (PRT) Feisabad beginnen die deutschen Soldaten ihren Rückzug aus Afghanistan. Dieses PRT ist das erste größere Feldlager, das die Bundeswehr im Land aufgibt. Und Oberstleutnant Ralf Blasajewsky ist der erste Kommandeur in diesem Einsatz, dessen Hauptauftrag nicht mehr ist, Sicherheit zu erzeugen, sondern einzupacken. "90 Prozent unserer Arbeit dreht sich schon um den Abbau", sagt Blasajewsky. Wie nah der Abzug rückt, lässt sich allein an den Möbeln in seinem Büro ablesen: Jeden Tisch, jeden Schrank, jedes Regal zieren weiße Aufkleber mit den Kategorien "Verkauf" oder "MeS/Lager". Ein Teil des Inventars wird zunächst ins rund 400 Kilometer entfernte Hauptlager Masar-i-Scharif (MeS) verfrachtet, meist auf Lkw. Und "Verkauf" heißt in diesem Fall "verschenkt". Viele Möbel überlässt die Bundeswehr ihrer Nachmieterin, der lokalen Bereitschaftspolizei Afghan National Civil Order Police (Ancop). Sie wird mit rund 100 Mann auf die Fläche des PRT ziehen und 20 Bürocontainer der Deutschen übernehmen. Derzeit bringen Blasajewskys Soldaten einer Handvoll afghanischer Polizisten bei, wie sie ein Feldlager in eigener Regie betreiben können, inklusive Regelung der Strom- und Wasserversorgung oder Bedienung der Klimaanlage.

"Irgendwann Ende Oktober übergeben wir das PRT an die Afghanen und starten unseren letzten Konvoi Richtung Westen", sagt der Kommandeur. Wann genau das sein wird, will er nicht sagen. Zu groß ist die Gefahr, dass Aufständische das Datum für ihre Zwecke nutzen könnten. Deswegen spricht Blasajewsky nur vom "Tag X". Kurz vor diesem Datum wird er dem Kommandeur der Ancop einen armlangen Schlüssel aus Holz überreichen, bemalt in den Nationalfarben der Afghanen auf der einen Seite und denen der Deutschen auf der anderen.

Gerhard Ohlde, Mitarbeiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), steht vor einer leeren Betonplatte im Camp und verschränkt die Arme vor der Brust. Bis August standen hier noch Container, in denen Kollegen der amerikanischen Entwicklungsbehörde Usaid saßen. "Die sind schon ein paar Wochen weg", sagt Ohlde, der als BMZ-Vertreter für die Provinz Badakschan zuständig ist. "Jetzt bin ich der letzte Zivilist im PRT." Die Entwicklungshelfer werden die Einzigen sein, die nach 2014, wenn die Kampftruppen der Nato abgezogen sind, noch vor Ort arbeiten. Wenn das Feldlager weg ist, wird Ohlde in die Stadt ziehen.

Mit dem Abbau der Militärbasen ändern sich die Lebensbedingungen für die zivilen Aufbauhelfer erheblich. Bisher nutzen viele von ihnen im PRT die Feldpost, die Feldkasse, das kleine Fitnessstudio, die verlässlich warmen Duschen, das relativ schnelle Internet, die Gelegenheit, abends mal ein Bier zu trinken. Dieser Luxus schwindet nun Tag für Tag. Am meisten sorgen sich die Zivilisten jedoch darüber, dass mit dem PRT ein wichtiges Krankenhaus in der Provinz schließt. Aus Bundeswehrbeständen soll in Feisabad aber ein Behandlungsraum zur Notfallversorgung aufgebaut werden, in dem zwei amerikanische Ärzte von Nichtregierungsorganisationen arbeiten. Was aber ist, wenn jemand ausgeflogen werden muss, ins Feldlager Kundus oder nach Masar-i-Scharif? "Um das zu gewährleisten schließen wir eine Vereinbarung mit einem Medevac-Unternehmen, vergleichbar der deutschen Rettungsflugwacht", sagt Stefan Oswald, der Afghanistan-Referent im BMZ.

Die Frage ist nur: Können die Hubschrauber auch in Feisabad landen und starten? Bisher gibt es in der Bergregion Badakschan regelmäßig Probleme, gerade im Winter und in heißen Monaten ruht der Flugbetrieb manchmal tagelang. "Wenn mal etwas passiert, möchte schließlich niemand der Testfall sein", sagt Ohlde. Über Land führt nur eine befestigte Straße aus Feisabad heraus. Überhaupt die Sicherheit. Obwohl Badakschan bisher als eine der ruhigsten Provinzen galt, sind westliche Sicherheitsexperten inzwischen skeptisch. Ist das Militär als stabilisierender Faktor weg, könnten sich lokale Machthaber das Terrain untereinander neu aufteilen. Was dann passiert, darüber will derzeit niemand öffentlich spekulieren.

Oberleutnant P. denkt im Moment eher an Unwägbarkeiten praktischer Natur. U-Boote nennt er die Hindernisse, die bei den Abbauarbeiten unerwartet auftauchen. Zum Beispiel die Kamelspinnen, die Skorpione oder die Giftschlangen, die es sich im Laufe der Jahre unter manchen Containern bequem gemacht haben und jetzt plötzlich ans Tageslicht kommen. Oder die verrotteten Sandsäcke, mit denen das Dach der Kommandozentrale befestigt worden war. "Einfach runterschmeißen konnten wir die nicht mehr", erzählt der Logistiker. "Stattdessen standen hier 20 Mann drei Tage lang und haben jeden Morgen ab fünf Uhr Sand geschaufelt, insgesamt 100 Kubikmeter."

Neben den körperlich anstrengenden Momenten gibt es beim Schließen eines Feldlagers auch traurige Augenblicke. Etwa als die Soldaten den Ehrenhain abgebaut haben, die Mauer, an der die vier Plaketten mit den Namen gefallener Kameraden angebracht sind. In der Provinz Badakschan starb der Obergefreite Conrad Hötzel am 14. März 2009 bei einem Verkehrsunfall in der Nähe des Feldlagers. Am 15. April 2010 fielen Major Jörn Radloff, 38, Hauptfeldwebel Marius Dubnicki, 32, und Stabsunteroffizier Josef Kronawitter, 24. Stein für Stein trugen die Soldaten des Abbauzugs den Ehrenhain ab, beschrifteten die Teile und legten sie in einen Container. Der steht mittlerweile im zentralen Lager in Masar-i-Scharif; eventuell werden die Steine dort in den Ehrenhain integriert oder in Deutschland wieder aufgebaut. "Beim Abbauen mussten zwei Soldaten weinen und erst mal aufhören", erzählt Marius P. Hinter einer Namensplakette hätten sie ein Bild gesehen, gemalt vom Kind eines gefallenen Soldaten. Darauf war eine Mutter mit zwei Kindern zu sehen - "und ein Papa in Uniform, oben im Himmel".