Die deutschen Sicherheitskräfte in Afghanistan beschäftigen 1700 einheimische Helfer. Sie werden schon jetzt von den Taliban bedroht.

Kabul/Berlin. Mit 21 Jahren hört Ahmad Feroz von seinem Vater heute wieder den gleichen Satz, den er schon als Jugendlicher hörte: Komm nicht so spät nach Hause! Immer wenn er abends auf Partys gehe oder Freunde treffe, mache sich die ganze Familie Sorgen. "Alle haben Angst, dass die mich umbringen", sagt Ahmad, "weil ich für die Feinde aus dem Westen arbeite." Mit "die" meint er Menschen, die nur darauf warten, dass die internationale Schutztruppe Isaf bis Ende 2014 Afghanistan verlässt. Die Taliban verbreiten schon Drohungen: Wenn die Ausländer erst mal weg seien, müssten die Kollaborateure den Preis für ihren Verrat zahlen, warnen ihre Sprecher.

Ahmad Feroz arbeitet seit zweieinhalb Jahren als Übersetzer für die Bundeswehr in Nordafghanistan. Er begleitet Soldaten auf Patrouillen durch Dörfer, vermittelt zwischen ihnen und den Einheimischen. Oder er sitzt in einem Containerbüro im Camp Marmal in Masar-i-Scharif, übersetzt Schriftstücke von Dari ins Englische und umgekehrt. "Als Sprachmittler sind wir Auge, Ohr und Zunge für Isaf", sagt Ahmad. "Und alle wissen das, obwohl ich mit niemandem groß darüber rede." Damit bringe er sich und seine Familie in Lebensgefahr.

Ahmad ist einer von rund 460 Afghanen, die für den Sprachendienst der Bundeswehr in Afghanistan arbeiten. Insgesamt beschäftigen die Deutschen nach Informationen der Zeitung "Die Welt" mehr als 1700 sogenannte Ortskräfte, die nach einem Komplettabzug der westlichen Truppen arbeitslos werden würden. Die Männer dolmetschen und fahren für die deutschen Soldaten und Polizisten, sie halten Kontakt zu Dorfältesten und Gouverneuren, bewachen Lager und Gebäude, halten Wege instand, pflegen Grünanlagen, stehen in den Feldküchen, putzen Büros und Wohncontainer. Allein für die Bundeswehr sind gut 1600 lokale Mitarbeiter im Dienst, vom Lotsen auf dem Flugplatz bis zum Fitnesswart in der Sporteinrichtung. Für die deutschen Polizeiausbilder arbeiten weitere rund 160 Afghanen, die meisten als Fahrer und Dolmetscher.

Wie Ahmad Faroz fürchten sich fast alle vor dem Ende der Isaf-Mission. Denn erstens verlieren sie ihre Jobs und zweitens den direkten Schutz vor Racheakten von Aufständischen. "Die Mullahs erzählen überall, wir seien Spione des Westens", sagt Ahmad. "Dafür hassen uns die Leute." Wenn Isaf weg sei, müsse er das Land verlassen, seine Familie auch. "Sonst bringen sie uns alle um." Die deutsche Regierung müsse sich kümmern, fordert Ahmad. "Aber bisher hat sie gar nichts getan, nicht einmal versprochen."

Hilferufe wie diese kommen mehr und mehr in Berlin an. Politiker der Koalition fordern deswegen, die Bundesregierung müsse Menschen wie Ahmad Feroz rechtzeitig helfen. "Die dürfen wir nach der Rückverlegung 2014 nicht einfach im Stich lassen", sagt die FDP-Verteidigungspolitikerin Elke Hoff. Ihr CDU-Kollege Ernst-Reinhard Beck warnt: "Wenn wir unsere Verantwortung nicht ernst nehmen, riskieren wir einen schweren Vertrauensverlust."

Bisher ist allerdings unklar, in welcher Form die Bundesrepublik ihren moralischen Pflichten nachkommen wird: ob sie den afghanischen Beschäftigten neue Arbeitsplätze besorgt, ihnen Entschädigungen zahlt oder sie sogar nach Deutschland holt.

Würden tatsächlich alle Ortskräfte Visa beantragen und - wie Ahmad - auch ihre Familien mitnehmen wollen, kämen schnell einige Tausend Menschen zusammen, die in Deutschland erst einmal Unterkunft und Arbeit finden müssten. Bisher wurden noch keine Anträge gestellt. Es seien aber erste Gespräche mit den Ortskräften in den jeweils zuständigen deutschen Einrichtungen geführt worden, teilt das Innenministerium mit.

Jeder Fall solle einzeln geprüft und entschieden werden, immer vom jeweiligen Vorgesetzten, ob nun von der Polizei oder der Bundeswehr. Derzeit befasse sich mit diesem Thema eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe, in der alle in Afghanistan engagierten Ministerien vertreten sind. Die Federführung hat das Innenministerium, es wäre später auch für mögliche Ausreisegenehmigungen zuständig.

Während Ahmad und mit ihm viele andere Sprachmittler nun auf deutsche Visa hoffen, hat die Bundesregierung einen anderen Plan. Sie will eher versuchen, den afghanischen Ortskräften "möglichst eine Beschäftigungsperspektive im eigenen Land zu bieten". So heißt es im Innenministerium. Für die nachhaltige Entwicklung und den wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans sei es wichtig, dass gut qualifizierte afghanische Fachkräfte auch künftig die Möglichkeit hätten, einen Beitrag für ihr Heimatland zu leisten.

Ahmad Feroz ist dazu höchstens bis Ende 2014 bereit. Sein Vater bitte ihn jetzt schon jeden Tag, den Isaf-Job zu kündigen. Kürzlich habe sogar seine Mutter vorgeschlagen: "Verkaufen wir das Haus, verlassen wir das Land!" Doch der 21-Jährige will erst sein Wirtschaftsstudium beenden und weiter Geld verdienen. 700 Euro bekommt er pro Woche für seine Dolmetscherdienste, gut das Zehnfache des durchschnittlichen Gehalts in Afghanistan. Damit ernährt er seine Eltern und seine drei jüngeren Geschwister. Das Geld reicht auch für sein Studium. "In einem halben Jahr bin ich fertig", sagt er, "danach will ich meinen Master machen." Dann finde er auch woanders Arbeit, "in jedem anderen Land".

Auf die afghanischen Polizisten und Soldaten, die nach 2014 allein für dieSicherheit im Land sorgen sollen, könne er nicht vertrauen, sagt der 21-Jährige. Viele seien nicht sehr gebildet und vor allem neidisch auf den Lebensstandard, den er sich mit seinem Isaf-Gehalt inzwischen leisten könne. "Sie werden uns nicht beschützen, sie werden uns bekämpfen." Manche in der Stadt hätten ihn schon gefragt, ob er jetzt Christ geworden sei. Sie hätten gehört, dass es in dem Camp, in dem er arbeitet, eine Kirche gebe.

"Wir müssen endlich klären, wer von den betroffenen Afghanen einem hohen Risiko ausgesetzt ist und daher eine Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland erhalten muss", fordert Verteidigungspolitikerin Hoff. Für Ortskräfte, die das Land nicht verlassen könnten oder die nicht besonders gefährdet seien, sollten wenigstens Arbeitsplätze bei internationalen oder afghanischen Institutionen angeboten werden. "Wenn uns diese Klärung nicht gelingt, wird es bei zukünftigen Einsätzen in Konfliktgebieten schwer werden, Einheimische für die Mitarbeit zu gewinnen", sagt Hoff. Als Vorbild für verantwortungsvollen Umgang mit Ortskräften nennt sie die USA. Dort würden nun gesetzliche Regelungen verabschiedet, nach denen Afghanen, die einige Jahre für Isaf gearbeitet haben, eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten könnten.

Im Wesentlichen würden am Ende die Dolmetscher und die kulturellen Berater Visa erhalten, sagt ein Isaf-Offizier in Kabul. "Leute, die sichtbar mit uns zu tun hatten, zum Beispiel der Sprachmittler, der ständig mit dem PRT-Kommandeur durch die Dörfer gefahren ist und sein Gesicht gezeigt hat."

Am Ende dürften es um die 500 Afghanen sein, die man mit nach Deutschland nehme, schätzt ein Bundeswehroffizier in Berlin. Unter einem neuen Mandat würden schließlich auch nach 2014 noch deutsche Soldaten in Afghanistan bleiben, dann allerdings allein als Ausbilder und Berater. Und die benötigen weiter Sprachmittler.

Ahmad Faroz bereitet seine Familie schon auf eine mögliche neue Heimat vor. Jeden Abend berichtet er den Eltern und Geschwistern, was er im Camp sieht. "Ich erzähle ihnen ganz genau, wie die Deutschen sind, wie sie leben, wie sie sich kleiden", sagt er. Die Sprache werde er auch lernen, wenn es so weit ist. Sein Cousin lebe in Stuttgart, ein anderer in Frankfurt, ein dritter in Wien.

Sie alle seien schon vor Jahren über Pakistan geflüchtet und fragten ständig, wann er denn hinterherkomme. "Wir warten lieber bis 2014", sagt Ahmad. "Wir wollen das Land auf legalem Weg verlassen."