Für Abenteurer war das Land lange Zeit der Geheimtipp. Dann kamen radikale Islamisten. Ihre Opfer sind Ausländer, die nur helfen wollten. Ein Report von Irene Jung.

Sanaa/Hamburg. Sie waren beseelt vom Geist der Nächstenliebe. Sie wollten da helfen, wo die Not am größten ist: in der Provinz Saada im Nordwesten des Jemen. Mit drei kleinen Kindern waren ein 35 Jahre alter deutscher Haustechniker und eine 30 Jahre alte Krankenschwester vor einigen Jahren in ein Land gezogen, das als "Armenhaus Arabiens" gilt. Das Ehepaar arbeitete am Al-Dschumhuri-Krankenhaus in Saada, das von der niederländischen Hilfsorganisation Worldwide Services unterhalten wird. Auch mehrere Freiwillige aus Südkorea und aus Deutschland sind in der Klinik tätig - ein Hort der Hilfsbereitschaft mitten in einem Konfliktherd.

Für Ausländer ist der äußerste Norden des Jemens seit Jahren tabu. Weder Touristen noch Entwicklungshelfer oder Journalisten erhalten Zugang zu dem zerklüfteten Gebirge zwischen Sanaa und der saudi-arabischen Grenze. Die Helfer in der Klinik waren auf sich gestellt - und wollten sich am Wochenende ein gemeinsames Picknick gönnen. Am Freitag war die deutsche Familie zusammen mit zwei deutschen Praktikantinnen, einem Briten und seiner südkoreanischen Frau zu dem Ausflug aufgebrochen.

Als den Behörden in Sanaa gemeldet wurde, dass die Gruppe auch am Sonnabend verschwunden blieb, ging man zunächst von einer Entführung durch Stammesangehörige aus. Man glaubte, bewaffnete Männer hätten sich wieder einmal Ausländer geschnappt, um sie als Faustpfand in ihren Machtspielen mit der Regierung zu benutzen - was im Jemen häufig vorkommt.

Fast immer sind solche Entführungen bisher glimpflich ausgegangen. Stammesführer forderten mal neue Straßen, mal eine Schule für ihre Region, pressten einen Inhaftierten aus dem Staatsgefängnis frei oder verlangten schlicht Geld. Der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, der 2005 mit seiner Familie entführt wurde, lobte nach seiner Freilassung, er sei gut behandelt worden: Die Entführer hätten sich "als Gastgeber absolut anständig verhalten". Diese Entführung, sagte Chrobog dem "Tagesspiegel", trage eine "völlig andere Handschrift".

Der Picknick-Gruppe wurde keine Anständigkeit zuteil. Gestern folgten die erschütternden Nachrichten rasch aufeinander: Am Morgen entdeckten Schafhirten nahe der Ortschaft El Naschur in Saada die Leichen von drei der ausländischen Frauen - es sollen die beiden deutschen Pflegehelferinnen und die südkoreanische Lehrerin sein. Die Opfer, zwischen 24 und 34 Jahre alt, seien durch mehrere Pistolenschüsse und Messerstiche getötet worden, teilte das Innenministerium mit - was weder auf einen Raubmord noch auf Vergewaltigung hindeute. In der Nähe fanden Polizisten später zwei kleine Mädchen, die mit den Frauen verschleppt worden waren - sie seien am Leben, hieß es.

Während ein örtlicher Sicherheitsvertreter der Nachrichtenagentur AFP am Nachmittag sagte, sieben der neun entführten Ausländer seien tot gefunden worden, meldete die Deutsche Presseagentur am Abend unter Berufung auf das jemenitische Innenministerium, vier der Ausländer - die Eltern der Mädchen, ihr vierjähriger Sohn und der britische Ingenieur - würden noch vermisst.

Steckt al-Qaida dahinter? "Der Jemen ist, ebenso wie Somalia, seit mehreren Jahren ein neues Aufmarschgebiet radikaler islamistischer Gruppierungen und auch von al-Qaida, die vielfach von Afghanistan und Pakistan in den Jemen strömen", sagte der Nahostexperte Michael Lüders dem Abendblatt. Seit einigen Jahren gebe es neben den Lösegeld-Entführungen auch eine zweite Kategorie: "Das ist der von radikalen Islamisten und von al-Qaida betriebene Terror, dem nicht nur Ausländer, sondern auch wiederholt schon Jemeniten zum Opfer gefallen sind."

Hintergrund ist die tiefe Instabilität des Jemen. 1990 vereinigten sich die "Arabische Republik Jemen" im Norden und die "Demokratische Volksrepublik Jemen" im Süden (die sich politisch zeitweilig eng an die Sowjetunion anlehnte) zur Republik Jemen. Viele Südjemeniten empfanden die Vereinigung jedoch als Zwang. Die Lage kriselt beständig. 2005 kam es nach einer Erhöhung der Treibstoffpreise in sechs Provinzen zu schweren Unruhen, die vor allem von den Al-Houthi-Rebellen getragen wurden. Hunderte von Familien in Saada verließen ihre Häuser, um vor den Kämpfen zwischen Regierung und Houthi-Rebellen zu fliehen.

"In dieser Region tobt seit Jahren ein von der Weltöffentlichkeit vollkommen ignorierter Krieg der Zentralregierung gegen die aufständischen Stämme", sagt Lüders. Die fehlende Zentralstaatlichkeit, bittere Armut, die hohe Analphabetenquote von 50 Prozent, das Gefälle zwischen dem Norden und Süden des Landes: All diese Faktoren sind, so Lüders, "ein Nährboden für anhaltende Unzufriedenheit. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass radikale Islamisten bei diesen Regierungsgegnern Rückhalt finden".

Die widersprüchliche Nachrichtenlage ist für Experten nicht überraschend. Die Situation im Jemen und besonders in den Stammesgebieten im Norden sei völlig unübersichtlich, sagt Lüders. "Es ist keineswegs gesagt, dass der Al-Houthi-Stamm hinter dieser Entführung steht. Es kann aber sein, dass Randelemente, versprengte Stammeskrieger aus diesem Clan, doch mit al-Qaida zusammenarbeiten. Es ist auch denkbar, dass radikale Islamisten völlig unabhängig von dem Huthi-Clan dort agiert haben."

Lüders befürchtet, dass jetzt noch die letzten verbliebenen Entwicklungshelfer und Berater aus dem Jemen abgezogen werden. Relativ sicher sei nur noch die Hauptstadt Sanaa. Der Tourismus ist durch die zunehmende Gewalt fast völlig zum Erliegen gekommen. Der Jemen - einst Traumland für Individualreisende und Arabien-Liebhaber - ist für Ausländer eine tödliche Falle.