Ägyptens Präsident Mursi fordert die Militärs und das Verfassungsgericht heraus. Heute sollen die Abgeordneten in Kairo zusammenkommen.

Kairo. Der erwartete Sturm der Abgeordneten auf das Parlamentsgebäude blieb bislang aus. Traditionell ist ohnehin der Dienstag Sitzungstag. Und für heute hat Parlamentspräsident Saad al-Katatni die Mitglieder des durch einen Gerichtsbeschluss aufgelösten Parlaments in Kairo tatsächlich zu einer Sitzung einberufen - und dürfte damit das angespannte Verhältnis zum Militärrat des Landes weiter belasten.

Als gebe es diesen Konflikt zwischen gewählten Politikern und Militärs nicht, wohnte der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi gestern einer Zeremonie in der Militärakademie bei. Umrahmt von Feldmarschall Tantawi und weiteren Mitgliedern des Militärrats heftete er Orden an die Brüste der Absolventen, die nach bestandener Prüfung ihren Dienst in der Armee antreten.

Da stand ein Staatsoberhaupt in Zivil neben salutierenden Generälen. Mit Worten, nicht mit Gesten begegnete er den frisch gebackenen Offizieren, die ihm militärischen Salut zollten. Auch dies ein historischer Moment, wie es seit Beginn der Revolution Ende Januar 2011 schon so viele gegeben hat.

+++ Trotz Machtprobe in Kairo: Westerwelle besucht Ägypten +++

Unterdessen stritten Verfassungsrechtler darum, was der Neue am Nileigentlich darf und was nicht. Zwei Tage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt, aus der der 60-jährige Islamist als Sieger hervorging, urteilte das Verfassungsgericht, dass die Parlamentswahl vom letzten Herbst ungültig sei. Begründung: ein Drittel der für unabhängige Kandidaten reservierten Sitze sei mit Parteimitgliedern besetzt worden.

Bei dieser Entscheidung bleibt es, entschieden die Richter gestern Nachmittag. An dem Urteilsspruch vom14. Juni werde nicht gerüttelt.

Der seit dem Sturz Husni Mubaraks regierende Militärrat hatte unmittelbar nach dieser Verkündung die frei gewählte Volksvertretung aufgelöst und seitdem die Abgeordneten am Betreten des Parlaments durch Militär und Polizei gehindert. Außerdem sicherten sich die Generäle noch schnell vor der Auszählung der Stimmen für die Präsidentenwahl weitreichende Vollmachten, die die Machtbefugnisse des künftigen Staatschefs erheblich einschränken sollten.

Der Aufschrei unter den Islamisten war groß, denn sie verfügen über knapp zwei Drittel der Parlamentssitze. Auch westliche Staaten verurteilten den Akt der Militärs als einen Rückschritt auf Ägyptens Weg in die Demokratie. Das Parlament war bis dahin die einzig frei gewählte Institution der Post-Mubarak-Ära. Von einem "sanften Militärputsch" war die Rede, von einem Scherbenhaufen der Revolution.

Jetzt bediente sich der vor gut einer Woche ins Amt eingeführte Präsident genau dieses Instruments, um alles wieder umzudrehen. Mit dem entsprechenden Dekret, in dem er das Unterhaus des Zweikammerparlaments zur Wiederaufnahme seiner Arbeit aufforderte, testete er nicht nur seine Machtbefugnisse, sondern auch das Gericht.

Geschickt baute der promovierte Metallurgie-Ingenieur den Juristen eine Brücke und kündigte vorgezogene Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen an, sobald eine neue Verfassung per Referendum in Kraft getreten sei. Vergebens. Das Gericht blieb hart. Die Parlamentswahl sei nicht verfassungsgemäß.

Nun bleibt allerdings die Frage, ob man nur das eine Drittel der Abgeordneten neu wählen lässt, das unrechtmäßig in der Volksvertretung sitzt, oder das gesamte Parlament. Darüber haben nun die Militärs das letzte Wort.

So wird es also spannend zu sehen, wie viele und welche Abgeordneten heute den Weg ins Parlament suchen. Denn während die islamistischen Parlamentarier, allen voran die der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, deren Vorsitzender Mohammed Mursi vor seiner Amtseinführung war, dem neuen Präsidenten für den Erlass des Dekrets Beifall zollten, finden andere die Wiederaufnahme der Sitzungen in alter Besetzung gar nicht so gut.

"Es war kein Putsch, sondern die Notbremse", sagt etwa Colette Haggar, Mitglied der Partei der "Freien Ägypter" und Christin, über die Auflösung des Parlaments durch den Militärrat. "Ein islamistisches Parlament und ein islamistischer Präsident - nicht auszudenken!" Ihre Partei verfügt über 34 der insgesamt 508 Sitze und wurde von dem Kopten Naguib Sawiris gegründet. Die Sitzungen seit Inkrafttreten der Volksvertretung Ende Januar seien ein Albtraum gewesen.

Dort diskutierte man lieber über das Verschleierungsgebot für Stewardessen der staatlichen Fluggesellschaft als über die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung, wofür man eigentlich gewählt wurde. Abgeordnete der Salafistenpartei Al Nour brachten Anträge ein, wonach das Scheidungsrecht für Frauen zurückgenommen werden müsse und die Beschneidung von Mädchen wieder erlaubt wird. Die Verankerung der Scharia als Hauptquelle des Rechtssystems in der Verfassung schien sowieso gegeben. Bisher hat Ägypten zwar die Scharia als Teile des Familienrechts, ansonsten aber gilt der "Code Napoléon".

Dementsprechend heftig fiel der Streit um die Zusammensetzung der Verfassungskommission aus und war für nicht islamische Abgeordnete nahezu unerträglich. Manche erklärten gar ihren Rückzug. Ahmed Maher, einer der bekanntesten Aktivisten der Revolution, kritisierte die Muslimbrüder dafür, dass sie Absprachen im Parlament nicht eingehalten hätten. "Was in der einen Sitzungswoche beschlossen wurde, ist in der nächsten wieder zurückgenommen worden."

Inmitten dieser Wirren hat sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu einem Kurzbesuch in Kairo angesagt. Er sei der erste westliche Außenminister, der Ägypten seit der Präsidentenwahl besucht, so das Auswärtige Amt. Die zweitägige Reise steht im Zeichen der anhaltenden Bemühungen Deutschlands, den demokratischen Wandel in Ägypten zu unterstützen, hieß es aus Diplomatenkreisen. Berlin lobt immer wieder Fortschritte Ägyptens in Richtung Demokratie, mahnt aber auch, dass 16 Monate nach dem Sturz Husni Mubaraks der Weg zu echten demokratischen Verhältnissen noch weit ist. Im Außenamt hieß es, Westerwelle wolle so rasch wie möglich Tuchfühlung mit den politisch Verantwortlichen aufnehmen. Für heute Morgen ist ein Gespräch mit dem neuen Präsidenten geplant.