Auch ohne offizielles Ergebnis feiert die religiöse Partei den Triumph über den Nachfolger Mubaraks. Mursi will für “demokratischen und modernen Staat“ arbeiten.

Kairo. Die konservativ-religiöse Muslimbruderschaft hat ihren Kandidaten zum Sieger der ersten Präsidentenwahl in Ägypten nach dem Sturz Husni Mubaraks erklärt. Mohammed Mursi habe nach inoffiziellen Ergebnissen bei der Stichwahl am Sonntag 52,5 Prozent der Stimmen erhalten, hieß es in einer am frühen Montagmorgen im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. Sein Konkurrent, der von Mubarak noch in dessen letzten Tagen als Präsident zum Regierungschef ernannte Ahmed Schafik, komme auf 47,5 Prozent. Eine offizielle Bestätigung der Zahlen gab es nicht. Die Wahlkommission will erst Mitte der Woche Ergebnisse bekanntgeben.

Mursi sagte, er wolle Präsident aller Ägypter sein. Der Minderheit der koptischen Christen versprach er, dass jeder im Land "Teil der Familie“ sein werde. Er wolle für einen "zivilen, demokratischen, verfassungsgemäßen und modernen Staat“ arbeiten.

Anhänger Schafiks wiesen den von der Muslimbruderschaft reklamierten Wahlsieg Mursis zurück. Zunächst müssten offizielle Ergebnisse abgewartet werden, hieß es nach Berichten des arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira in Schafiks Wahlkampfteam.

Mursi und Schafik hatten sich in der ersten Wahlrunde am 23. und 24. Mai gegen gemäßigte Islamisten, vom alten Regime unabhängigere Säkulare und Vertreter der revolutionären Strömungen durchgesetzt. Kommentatoren hatten für die Stichwahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt.

Unterdessen übernahmen die regierenden Militärs weitreichende Machtbefugnisse des kürzlich aufgelösten Parlaments. Laut einem nach Abschluss der Stichwahl veröffentlichten Dekret geht die Gesetzgebungshoheit an den Obersten Militärrat über, bis eine neue Volksvertretung gewählt ist. Zudem würden die Militärs ermächtigt, eine Kommission einzusetzen, die einen Verfassungsentwurf erarbeiten solle, berichtete das staatliche Fernsehen. Über die neue Verfassung müsse dann in einem Referendum abgestimmt werden. Binnen eines Monats nach deren Annahme würden Parlamentswahlen stattfinden.

Andere ägyptische Medien berichteten, dass außerdem der künftige Präsident nicht mehr Oberbefehlshaber der Streitkräfte sein solle. So müsse er laut Dekret etwa vor einer Kriegserklärung das Einverständnis des Militärrates einholen.

Die Militärs hatten nach dem durch Massenproteste erzwungenen Rücktritt Mubaraks im Februar vergangenen Jahres die Macht in Ägypten übernommen. Ursprünglich hatten sie angekündigt, sie bis Ende des Monats an einen gewählten Präsidenten abzugeben.

Am Donnerstag hatte das Verfassungsgericht überraschend das erst vor vier Monaten gewählte Parlament aufgelöst. Die Richter entschieden, das Unterhaus der mehrheitlich mit Islamisten besetzten Volksvertretung habe seine Legalität verloren, da ein Drittel der Sitze nicht verfassungsgemäß gewählt worden sei.

Die Muslimbruderschaft bezeichnete das Verfassungsdekret als „Putsch gegen den gesamten demokratischen Prozess“ in Ägypten. Auch der gemäßigte Politiker und Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei warf den Militärs vor, die Macht an sich zu reißen. „Mit der Verfassungserklärung vereinnahmt der Militärrat die gesetzgebende Gewalt und entzieht dem Präsidenten die Befugnisse als Oberster Befehlshaber der Streitkräfte“, schrieb er im Kurzmitteilungsdienst Twitter.

Nach Informationen der Wahlkommission verlief die Präsidentenwahl weitgehend ordnungsgemäß und friedlich. Unabhängige Beobachter registrierten hingegen zahlreiche Verstöße gegen die Wahlordnung durch Mursis Wahlhelfer. Die Wahllokale blieben am Sonntagabend zwei Stunden länger geöffnet als geplant, um auch den Wählern die Stimmabgabe zu ermöglichen, die während des Tages wegen hoher Temperaturen den Urnen ferngeblieben waren.

Die Islamisten befürchten bei einem Wahlsieg Schafiks eine Wiederherstellung des alten Mubarak-Systems ohne Mubarak. Die Anhänger Schafiks, aber auch Millionen koptischer Christen, sehen in der möglichen Machtergreifung der Muslimbruderschaft die Vorstufe zu einer Islamisierung des Landes.

Mit Material von dpa