Nach den landesweiten Trauerfeiern wird Kim Jong-il wahrscheinlich einbalsamiert - wie bereits sein Vater, Lenin, Mao und andere Parteigrößen zuvor.

Weinende Menschen, stumm trauernde Soldaten und ein Zeremoniell von bizarrem Reiz: Gestern wurde der verstorbene nordkoreanische Diktator Kim Jong-il in Pjöngjang beigesetzt. Ausgangspunkt des Trauerzugs in Pjöngjang war der riesige Kumsusan-Palast, den Kim Jong-il selbst 1994 zu einem Mausoleum für seinen Vater Kim Il-sung hatte umbauen lassen. Dessen einbalsamierter Leichnam befindet sich in einem gläsernen Sarg im sogenannten Tränensaal. Gleich nach seinem Ableben am 19. Dezember war Kim Jong-il, das zweite Glied in der weltweit einzigen kommunistischen Erbmonarchie, ebenfalls in einem gläsernen Sarg im Kumsusan-Mausoleum aufgebahrt worden. Man kann davon ausgehen, dass auch er hier pharaonengleich für die Ewigkeit konserviert werden wird.

Dass mit dem Tod Schluss sein soll, wie es die reine Lehre von Marx bis Lenin glasklar postuliert, mag für die Arbeiterklasse gelten, nicht aber für deren großen Führer. Wenn es um die Unsterblichkeit geht, ist es bei kommunistischen Machthabern mit dem Atheismus nicht mehr weit her. Der merkwürdige Brauch, verstorbene Parteigrößen einzubalsamieren und öffentlich zur Schau zu stellen, begann 1924 in der Sowjetunion mit Lenins Tod, und zwar unter ziemlich dramatischen Umständen. Lenin selbst hatte sich jeden postumen Kult um die eigene Person verbeten. Aber das hielt seinen Nachfolger Stalin nicht davon ab, die Leiche propagandistisch zu instrumentalisieren - und sich dabei selbst in Lenins Abglanz zu positionieren. Innerhalb von nur drei Tagen wurde auf dem Roten Platz ein vorerst hölzernes Mausoleum errichtet, direkt vor der Mauer des Kreml.

Nur mit dessen künftigem "Bewohner" gab es erhebliche Probleme. Während die Mitglieder des "Verewigungs-Ausschusses" noch darüber diskutieren, ob man Lenins Leiche tiefkühlen oder doch lieber einbalsamieren sollte, zeigte sie schon bedenkliche Verwesungssymptome. In höchster Not verpflichtete Geheimdienstchef Felix Dserschinski den Anatomieprofessor Wladimir Worobjow von der Universität Charkow per Telegramm, "alle Maßnahmen zu ergreifen, die Sie für die Erhaltung des Leichnams von Wladimir Iljitsch für nötig erachten". Worobjow war zwar ein anerkannter Tierpräparator, hatte aber keine Ahnung, wie er Lenin haltbar machen sollte. Ratlos stand er mit seinem Moskauer Kollegen und künftigen Mitarbeiter Iljitsch Zbarski vor der Leiche - bis er eine Methode fand, sie unter Zuhilfenahme von Formaldehyd und Glyzerin einigermaßen haltbar zu machen.

Das ist bis heute gelungen, aber der Aufwand ist hoch. Ein eigenes Institut mit Biologen, Zellforschern und Anatomen wacht über den Zustand des im wahrsten Wortsinne teuren Verstorbenen, der zweimal wöchentlich mit einer speziellen, selbstverständlich streng geheimen Tinktur behandelt werden muss. Alle 18 Monate steht außerdem eine gründliche Restaurierung an.

Anstelle des ersten, noch provisorischen Mausoleums errichtete man im Sommer 1924 ein ebenfalls aus Eichenholz gefertigtes, aber schon repräsentativeres Gebäude, das 1930 durch das heutige Mausoleum ersetzt wurde. Bei der Gestaltung dieses geheimnisvoll als "Objekt Nummer 1" bezeichneten Bauwerks orientierte sich der Architekt Alexei Wiktorowitsch Schtschussew am sowjetischen Monumentalstil stalinscher Prägung. Das blockartige Mausoleum, das zugleich als Tribüne für die Parteiführung diente, besteht aus Labradorstein und dunklem, polierten Granit. Es wurde zum zentralen Heiligtum eines atheistischen Staates, dessen Personenkult pseudoreligiöse Züge trug und dabei nicht zufällig von den Formen der russisch-orthodoxen Frömmigkeit geprägt war. Die Lenin-Porträts, die auf den Demonstrationen mitgeführt wurden, erinnerten auffällig an die Ikonen, die Gläubige bei kirchlichen Prozessionen tragen. Und auch der Reliquienkult, der mit Lenin eine kommunistische Spielart erlebte, knüpft ungewollt an die orthodoxe Vorstellung von der Unverwesbarkeit des heiligen Leichnams an. So haben zum Beispiel im berühmten Höhlenkloster von Kiew die unverwesten Gebeine von 72 Heiligen ihre ewige Ruhe gefunden.

Von Ruhe konnte im Falle Lenins freilich keine Rede sein. Als die deutschen Truppen 1941 vor Moskau standen, wurde der Leichnam in einem klimatisierten Spezialzug ins westsibirische Tjumen transportiert (und später retour). Und als Stalin 1953 starb, bekam Lenin Gesellschaft. Doch schon nach acht Jahren ließ der neue Parteichef Nikita Chruschtschow Stalin aus dem Mausoleum verbannen, einäschern und an der Kremlmauer beisetzen. Seitdem ist Lenin wieder allein - wenn man von den Besucherscharen absieht, die zu Sowjetzeiten stundenlange Wartezeiten auf sich nahmen. Fast 90 Millionen Menschen sollen Lenins Leiche seit 1924 betrachtet haben. Das stumme Vorbeigehen an seinem schummrig beleuchteten Glassarg darf nicht mehr als zwei Minuten dauern.

Die Hüter des Moskauer Mausoleums stellten ihr Können bald auch in den Dienst ausländischer Parteigrößen, freilich mit wechselndem Erfolg. So misslang die Konservierung des tschechoslowakischen KP-Chefs Klement Gottwald 1953 so gründlich, dass dessen Mumie immer weiter zerfiel. 1962 musste sie aus dem Prager Mausoleum entfernt und verbrannt werden. Besser erging es dem im Juli 1949 gestorbenen bulgarischen KP-Chef Georgi Dimitroff, dem seine Genossen ein Mausoleum nach Moskauer Vorbild bauten. Hier leisteten die Balsamierer offenbar ganze Arbeit, denn Dimitroff konnte dort besichtigt werden, bis die postkommunistische Regierung ihn 1990 beisetzen und das Mausoleum Jahre später sprengen ließ.

Auch der nordvietnamesische Präsident Ho Chí Minh wurde posthum einbalsamiert. Nach Ende des Vietnamkriegs errichtete man ihm im Zentrum von Hanoi ein protziges Mausoleum, in dem sein Leichnam bis heute zur Schau gestellt wird. Ähnlich wie bei dem chinesischen Revolutionsführer Mao Tse-tung, den nach seinem Tod 1976 chinesische Experten konservierten und der in einem Mausoleum direkt auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens präsentiert wird. Wahrscheinlich dürfte weniger Lenins als vielmehr Maos Vorbild auch die Nordkoreaner bewogen haben, für Kim Il-sung ein Mausoleum zu errichten. Doch wenn sein Sohn Kim Jong-il jetzt gleichfalls einbalsamiert und dann neben dem Vater ausgestellt wird, wäre das weltweit einzigartig.

Wie lange die "ewige Ruhe" der beiden Kims dann tatsächlich währen wird, hängt aber vom weiteren Schicksal des zurzeit noch fast völlig abgeschotteten Landes ab. Auch Lenins Schicksal ist keineswegs gewiss. Schon sei Anfang der 1990er-Jahre sprechen sich sowohl Politiker als auch Vertreter der orthodoxen Kirche dafür aus, den Gründer der Sowjetunion auf konventionelle Weise beizusetzen. "Es ist eine dumme, heidnische Mission der Liebe zu Leichen, die wir auf dem Roten Platz haben", sagte der Duma-Abgeordnete Wladimir Medinski von der Partei Einiges Russland. Nach Umfragen teilen inzwischen fast 70 Prozent der Russen seine Meinung. Schon 1991 hat der russische Staat seine Zahlungen für die Konservierungsmaßnahmen drastisch gekürzt. So sah sich das "Institut für die Erforschung biologischer Strukturen" gezwungen, nach neuen Einnahmequellen zu suchen. Also gründete man Ritual Servis, das erste Privatunternehmen, das die professionelle Einbalsamierung im Angebot hat. Zum Kundenkreis gehören heute nicht mehr Revolutionsführer und Parteichefs, sondern vielmehr die Familien steinreicher Geschäftsleute. Und - das ist in Moskau durchaus kein Geheimnis - auch die Hinterbliebenen von gewaltsam zu Tode gekommenen Mafia-Bossen.