Kernschmelze in Reaktorblock 2 von Fukushima, Brüche in den Druckbehältern befürchtet. Radioaktiv verseuchtes Wasser floss ins Meer.

Hamburg. Die sechs Reaktoren des havarierten Kernkraftwerks Fukushima sollen nie wieder ans Netz gehen. Kraftwerksbetreiber Tepco hatte zuvor erklärt, er wolle nur die Reaktoren 1 bis 4 dauerhaft stilllegen. Die zwei anderen Reaktoren seien noch operationsfähig, ihr Fortbestand noch nicht endgültig geklärt.

Experten hatten es schon von Anfang an befürchtet: Im schwer beschädigten japanischen Atomkraftwerk Fukushima hat es anscheinend eine Kernschmelze im Reaktorblock 2 sowie eine Beschädigung der Druckbehälter in drei der sechs Reaktoren gegeben. Japans Regierungssprecher Yukio Edano räumte ein, vermutlich rühre von dieser Kernschmelze das radioaktiv verseuchte Wasser her, das in der Anlage bis zu einem Meter hoch steht. Derweil kam es in sechs Kilometer Tiefe vor der Küste der Unglücksprovinz Miyagi zu einem Nachbeben der Stärke 6,5. Schäden gab es keine.

Die Regierung zeigte sich indessen ungehalten über die Informationspolitik der Betreiberfirma Tepco. Das Unternehmen hatte zunächst von millionenfach erhöhten Werten im Wasser des Turbinengebäudes gesprochen, diese Erklärung aber später als Falschinformation zurückgezogen. Nun hieß es, die Radioaktivität in Block 2 sei "lediglich" um das 100 000-Fache erhöht. Man habe auf einer Analysemaschine die Werte falsch abgelesen und dann noch ein radioaktives Isotop mit einem anderen verwechselt. "Ein derartiger Fehler ist unverzeihlich", sagte Regierungssprecher Edano. Für japanische Verhältnisse ist dies eine sehr harsche und seltene öffentliche Kritik.

Bei einer Kernschmelze werden die stabförmigen Brennelemente aufgrund fehlender Kühlung sehr weich und sammeln sich als hoch radioaktiver Brei am Boden des Reaktors. Die bis zu 2000 Grad heiße Masse wird von einem Auffangbehälter aus Stahlbeton daran gehindert, in den Boden hinabzusinken und das gesamte Erdreich großflächig zu verseuchen. Doch auch dieses "Containment" kann nach einiger Zeit aufgrund der enormen Hitze brüchig werden. Ob dies in Fukushima bereits der Fall ist, weiß niemand. Die zulässige Strahlenbelastung der Luft in Block 2 ist derzeit um das Vierfache überschritten - und liegt bei 1000 Millisievert. Bis zu 600 Menschen arbeiten im Schichtdienst in Fukushima. Wie Tepco erklärte, deuteten Spuren von radioaktivem Jod 131 und Cäsium 137 daraufhin, dass die Druckbehälter der drei Reaktoren 1, 2 und 3 bereits beschädigt sind und Strahlung austritt. Das radioaktive Wasser aus Block 2 - es handelt sich um Hunderte Tonnen - muss nach Angaben der Internationalen Atomsicherheitsbehörde IAEA abgepumpt und sicher gelagert werden, bevor die Arbeiten fortgesetzt werden könnten.

Ob dies zeitlich und technisch überhaupt möglich ist, bleibt unsicher. Es ist nicht auszuschließen, dass Tepco gezwungen sein könnte, die strahlende Brühe einfach ins Meer zu pumpen. Bereits jetzt ist das Meer um Fukushima weiträumig verstrahlt. An den Küsten nahe dem Kraftwerk wurden nach Behördenangaben Werte von Jod 131 gemessen, die den Normalwert um das 1150-Fache überschritten; im Meer vor der Anlage war zuvor ein um das 1850-Fache erhöhter Wert ermittelt worden.

Gestern erst fanden Arbeiter den mutmaßlichen Grund für die Verseuchung des Meerwassers heraus: In mehreren unterirdischen Wartungstunneln steht radioaktives Wasser. Jedes Turbinengebäude hat zwei solche mannshohe Tunnel; es wurde entdeckt, dass ein 16 Meter tiefer Kontrollschacht, der in einen dieser Tunnel führt, fast randvoll mit Wasser ist. Der Schacht liegt nur 55 Meter vom offenen Meer entfernt; offenbar ist von dort radioaktives Wasser in die See geflossen.

Tepco-Vizepräsident Sakae Muto gab zu, man könne nicht sagen, ob die Versuche der Techniker in Fukushima, eine atomare Katastrophe zu verhindern, sich noch über Monate oder gar Jahre erstrecken würden.

Immer mehr schwangere Frauen verlassen nicht nur die betroffene Region Japans, sondern auch die Hauptstadt Tokio - aus Sorge vor Schäden, die radioaktive Strahlung etwa im Trinkwasser und in der Luft an ihren ungeborenen Kindern anrichten könnte. Wie die "Japan Times" berichtete, kommen immer mehr Schwangere in der südwestlichen Region Kansai beziehungsweise der Millionenmetropole Osaka an, um sich dort in Krankenhäuser zu begeben. Die Präfektur Osaka mit ihren knapp neun Millionen Einwohnern ist zum Fluchtpunkt für viele Menschen aus Tokio geworden. Die gesamte Metropolregion Osaka hat 17,5 Millionen Einwohner.

Nach der Katastrophe in Japan überdenkt Vietnam Pläne zum Bau eines Kernkraftwerks. Atomenergie sei nun eine "sehr sensible Frage", sagte Industrie- und Handelsminister Vu Huy Hoang gestern in der Hauptstadt Hanoi. Die Vorgänge in Fukushima zwängen seine Regierung, die Pläne "noch einmal unter die Lupe zu nehmen". Der Bau des ersten vietnamesischen Kernkraftwerks sollte 2014 beginnen und 2020 vollendet werden.

China hat damit begonnen, in 14 seiner Provinzen Lebensmittel und Trinkwasser auf radioaktive Verseuchung zu überprüfen. Am Wochenende waren in der nordöstlichen Provinz Heilongjiang Spuren von Jod 131 in der Luft entdeckt worden.