US-Präsident Obama scheitert bei G20-Gipfel mit der Forderung nach einer Exportbremse für Deutschland und China. Merkel setzt sich durch.

Seoul. Die Bundeskanzlerin sitzt im Grand Hyatt von Seoul und wartet. Hier, im luxuriösesten Hotel von ganz Südkorea, ist Angela Merkel mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama zu einem Vorgespräch für den G20-Gipfel verabredet. Sie war extra früh vom Empfang einer Frauenuniversität, deren Ehrendoktorin sie jetzt ist, aufgebrochen und hatte sich mit Blaulicht in ihrer Kolonne durch den Stau der Zwölf-Millionen-Metropole gekämpft. Die Deutsche war pünktlich - auf die Minute. Aber Obama nicht. Merkel wartet. Und sie wartet nicht gerne.

Probleme zwischen den beiden gibt es schon lange. Nur in der letzten Zeit haben sie sich potenziert. Es ist vor allem dieser andauernde Streit über die richtige Finanz- und Geldpolitik. Obama druckt Geld, um seine Wirtschaft anzukurbeln. Merkel spart. Obama will mehr exportieren. Merkel will ihm aber nicht zusagen, dass die Deutschen ihm mehr abkaufen. Jetzt wäre die letzte Gelegenheit, den Streit unter Freunden beizulegen - dringend, denn schon in einer Stunde beginnt der offizielle Teil des G20-Gipfels. Doch Merkel wartet immer noch. Was sie zusätzlich ärgert: Statt mit ihr, redet Obama gerade mit Hu Jintao, dem Präsidenten der Volksrepublik China. Für ihn nimmt er sich Zeit. Merkels Zeit.

Dann beginnen endlich die Beratungen. Merkel und Obama reden von Zusammenarbeit, den Problemen der Weltwirtschaft, doch ihre Mienen wirken versteinert. Zu oft hat sich die US-Seite beschwert, die Deutschen würden mit hohen Exporten auf Kosten der anderen, vor allem Amerikas leben. Stattdessen sollten die Deutschen - so zumindest die Vorstellung der hoch verschuldeten Amerikaner - etwas mehr für ihre Konjunktur tun. Merkel sollte ein drittes Konjunkturprogramm auflegen. Und das, obwohl die Kanzlerin doch eigentlich sparen wollte.

Der Konflikt sollte hier in Seoul beigelegt oder wenigstens unter den Teppich gekehrt werden. Nun aber droht er, vor aller Welt neu aufzubrechen. Deshalb wird aus der deutschen Delegation anschließend berichtet, Obama habe der Kanzlerin auf nette Art erklärt, warum er länger mit Hu als mit ihr sprach: Mit dem Chinesen müsse man immer die ersten zwanzig Minuten auf Beteuerungen verwenden, wie gut die gegenseitigen Beziehungen seien, so Obama angeblich. Und dann zu Merkel: "Das haben wir nicht nötig." Worauf die Kanzlerin schnippisch geantwortet habe: "Aber heute hätte ich es gerne gehört." Dieser Dialog klingt glaubhaft nach Merkel.

Doch sie weiß auch, dass Obama seit den Wahlen angezählt ist. Seit Monaten sucht er verzweifelt den Weg aus der Wirtschaftskrise. Von den Wachstumszahlen, derer sich Merkel derzeit erfreut, kann er nur träumen. Ausgerechnet Deutschland, das Land, das in den Augen Washingtons nicht genügend Konjunkturspritzen gibt, dessen Bürger zu viel sparen und zu wenig konsumieren, verbucht derzeit stärkeres Wachstum als die USA - für viele Amerikaner ist das eine verkehrte Welt.

Am Ende setzt sich schließlich Merkel durch. Barack Obama muss bei dem Versuch zurückstecken, die gewaltige Exportstärke Chinas und Deutschlands politisch einzudämmen. Auch Hu ließ die Initiative der USA ins Leere laufen.

Währenddessen setzt sich Obama gegen die Kritik nur noch matt zur Wehr. "Das Wichtigste, was die USA für die Weltwirtschaft tun können, ist zu wachsen." Nach wie vor seien die USA der größte Markt der Erde. "Länder wie Deutschland profitieren von unserem offenen Markt und davon, dass wir ihre Waren kaufen."

Merkel sagt dann zum offiziellen Auftakt des Treffens: "Wir können über Ungleichgewichte auf der Welt sprechen. Aber wir können dafür nicht die Differenz aus Export und Import nehmen", sagt Merkel dann zum Auftakt des zweitägigen Treffens. In den nächsten Monaten soll eine Art Frühwarnsystem installiert werden, um rechtzeitig gegen übermäßige Handels- und Kapitalüberschüsse oder -defizite Maßnahmen zu ergreifen.

"Was man nicht machen kann, ist, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes auf eine Zahl zu reduzieren", sagte Merkel. "Das halten wir für (...) nicht zielführend. Und ich glaube, von diesem Ansatz sind jetzt alle auch weg." Damit hat sich Merkel weitgehend durchgesetzt, die breite Unterstützung in der EU, aber auch bei Ländern wie Brasilien genoss. Auch bei anderen Gipfelteilnehmern hatten sich die USA ins Abseits manövriert.