Die Bundeskanzlerin will auf dem Gipfel in Seoul die Weltwirtschaft vor neuen Krisen und das Wachstum dauerhaft absichern

Berlin/Seoul. Die USA steuern beim G20-Gipfel auf eine direkte Konfrontation mit Deutschland und China zu, den beiden größten Exportnationen der Erde. Der innenpolitisch schwer angeschlagene US-Präsident Barack Obama pocht weiter auf verbindliche Hilfe aus Berlin und Peking beim Abbau des gewaltigen US-Handelsdefizits. Diese Position verdeutlichte Obama in einem Brief an seine Kollegen. Dem Plan erteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrer Abreise nach Südkorea eine klare Absage. Die südkoreanische G20-Präsidentschaft berichtete unterdessen über festgefahrene Verhandlungen der Unterhändler aus den wichtigsten Volkswirtschaften der Erde (G20).

Merkel machte klar, dass die Ungleichgewichte in den Handelsbeziehungen auch etwas mit der Wettbewerbsfähigkeit von Produkten auf dem Weltmarkt zu tun hätten. "Quantifizierte Ziele wird Deutschland jedenfalls nicht mittragen", sagte sie und lehnte erneut Zielkorridore oder andere messbare Vorgaben für Handelsströme ab.

Die "New York Times" berichtete aus einem Brief Obamas an die G20-Gipfelrunde. Darin räumte er zwar ein, dass die USA ihren Konsum auf Pump einschränkten müssten. Aber mit Blick auf China und Deutschland schrieb er, andere Ländern müssten auch etwas tun. "Kein einzelnes Land kann unser gemeinsames Ziel einer starken, dauerhaften und ausgewogenen Erholung auf sich selbst gestellt erreichen." Obamas Finanzminister Timothy Geithner hatte sich schon beim G20-Treffen mit seinen Kollegen eine Abfuhr vor allem von deutscher Seite für den Plan geholt.

Die G20-Unterhändler, die den zweitägigen Gipfel vorbereiteten, traten angesichts zunächst unüberbrückbarer Gegensätze nach südkoreanischen Angaben auf der Stelle. Es gebe bisher keinen "Mittelweg" in den strittigen Fragen, sagte ein Regierungsbeamter am Mittwoch in der Hauptstadt Seoul. Die Diskussionen seien hitzig gewesen.

Umstritten war demnach vor allem der Passus über die Währungspolitik für die Abschlusserklärung. Die USA werfen China vor, die Landeswährung zum Vorteil seiner Exporte künstlich niedrig zu halten. Merkel warnte die USA wegen deren Geldpolitik vor neuen Risiken für die Weltwirtschaft. "Kein Mensch kann Interesse an neuen Blasen haben, sondern alle müssen sehen, dass das Wachstum diesmal in der Weltwirtschaft nachhaltiger und dauerhafter ist als das, was wir vor einigen Jahren erlebt haben", sagte Merkel mit Blick auf das massiv durch Schulden finanzierte Wachstum der USA. Deutschland werde mit den Amerikanern partnerschaftlich über dieses Thema sprechen, sagte Merkel, die von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) begleitet wird. Hintergrund ist der Kauf amerikanischer Staatsanleihen in Höhe von 600 Milliarden Dollar durch die US-Zentralbank. Bei dem zweitägigen Treffen in Seoul geht es aber nicht nur um neue Finanzmarktregelungen, sondern um eine abgestimmte Wirtschafts- und Entwicklungspolitik sowie um Klima- und Energiefragen. Dies sind die wichtigsten Themen:

Strittigster Punkt ist der Abbau globaler Ungleichgewichte. Verabschiedet werden soll ein Aktionsplan mit einem Abbau von Handelsbilanz-Überschüssen und -Defiziten. Deutschland sieht sich wegen seiner Exporterfolge zu Unrecht in der Kritik. Konkrete Leistungsbilanzziele lehnen vor allem Berlin und Peking ab. Länder, in denen der Wirtschaftsaufschwung selbsttragend ist, sollen ab 2011 mit der Sanierung ihrer Haushalte beginnen. Auf dem letzten Gipfel in Toronto vereinbarten die G20, die Neuverschuldung bis 2013 zu halbieren und ab 2016 den Schuldenstand stabil zu halten beziehungsweise zu senken.

Im Focus steht auch der Abwertungswettlauf bei den Wechselkursen. Es geht dabei nicht nur um China, das seine Währung künstlich niedrig hält und so seine Exporte ankurbelt. Auch die USA stehen wegen des niedrigen Dollarkurses in der Kritik. Unter dem schwachen Dollar leiden andere Exportnationen. Brasilien und Japan etwa versuchen, eine Aufwertung ihrer Währung zu verhindern. Viele Schwellenländer steuern mit Kontrollen für den Devisenverkehr gegen, um große Schwankungen zu vermeiden und Kapitalflüsse zu bremsen.

Außerdem geht es um Maßnahmen zur Finanzmarktregulierung. Kein Finanzmarkt, kein Finanzprodukt und kein Marktteilnehmer bleiben unbeaufsichtigt. Aus Sicht Berlins wurde der 47-Punkte-Plan der G20 "relativ umfänglich" abgearbeitet. In Seoul sollen die strengeren Eigenkapitalregeln "Basel III" für Banken - das "Herzstück" der Finanzmarktreform - gebilligt werden. Diskutiert wird auch der Umgang mit großen, systemrelevanten Finanzinstituten (SIFIs). Zudem geht es um den bisher weitgehend unregulierten Markt für außerbörslich gehandelte Kreditderivate (OTC/"Over the Counter"). Gesprochen wird über die Verringerung externer Ratings (Bonitätsbewertungen durch Agenturen).

Die Neuordnung der Machtverhältnisse beim Internationalen Währungsfonds soll verabschiedet werden. Dynamische Schwellenländer erhalten mehr Einfluss, Industrieländer Macht geben ab.

Die Liberalisierung des Welthandels (Doha) geht in Seoul in die Endrunde. Die G20 hatten sich verpflichtet, bis 2013 keine protektionistischen Maßnahmen zu ergreifen. Die Bereitschaft aber, staatliche Maßnahmen gegen die Krise wieder zurückzuführen, ist bisher nur wenig ausgeprägt.

Beraten wird auch der Entwurf eines globalen Sicherheitsnetzes. Damit sollen Schwellenländer und kleinere offene Volkswirtschaften geschützt werden vor einem plötzlichen Abfluss von Kapital. Für dieses Sicherheitsnetz soll es Kreditinstrumente des Internationalen Währungsfonds (IWF) geben. Einen permanenten Hilfsmechanismus für Staaten mit Zahlungsproblemen hat Deutschland bisher abgelehnt.

Auf der Agenda steht auch der Abbau von Energiesubventionen. Die Staatshilfen für fossile Energieträger werden weltweit auf etwa 560 Milliarden Euro allein für das Jahr 2008 geschätzt. Deutschland will eine breite Rohstoffdebatte und nicht nur über Ölpreisschwankungen reden, sondern auch über offene Märkte und Kooperation.

Die G20 werden erstmals über Entwicklungsthemen sprechen. Geplant ist ein Aktionsplan mit Säulen wie Infrastruktur, Bildung, Handel, Investitionen oder Ernährungssicherheit. Der Schwerpunkt liegt weniger auf Finanzzusagen als auf Wachstumsförderung.