Israelis bauen wieder an umstrittenen Siedlungen. Palästinenser wollen in einer Woche auf den neuen Siedlungsbau im Westjordanland reagieren.

Hamburg/Jerusalem. Die Einwohner der jüdischen Siedlungen Revava und Ariel erwachten am frühen Morgen vom Lärm der schweren Baumaschinen und beladenen Lastwagen. Ein steter Strom von Fahrzeugen bewegte sich zu den Baustellen von Dutzenden neuen Wohneinheiten.

Nur wenige Stunden nach Ablauf des zehnmonatigen Baustopps im Westjordanland begannen israelische Firmen mit dem Weiterbau von mindestens acht der umstrittenen Siedlungen. Zunächst sollten die Arbeiten auf jenen Baustellen wieder aufgenommen werden, für die es bereits vor zehn Monaten - als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das Bau-Moratorium verhängte - eine Genehmigung gab. Zudem wurde das Genehmigungsverfahren erleichtert.

Wegen des derzeitigen jüdischen Laubhüttenfestes hat die Bautätigkeit in den Siedlungen jedoch noch nicht ihre volle Intensität erreicht. Allerdings hatten radikale Siedler in Kirjat Netafim bereits Stunden vor Ablauf des Moratoriums den Grundstein für einen Kindergarten gelegt. Insgesamt können die Siedler ohne neue Genehmigungen mehr als 2000 neue Wohnungen im Westjordanland errichten. "Kein politischer Führer kann die Besiedlung von Judäa und Samaria aufhalten", sagte ein Siedler in Ariel der israelischen Nachrichtenseite "ynet". "Wir haben mit dem Bauen erst angefangen." Mit den Namen Judäa und Samaria wird häufig in israelischen Verlautbarungen das Westjordanland bezeichnet.

+++ Netanjahu ruft Siedler im Westjordanland zur Mäßigung auf +++

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte bei Beginn der neuen israelisch-palästinensischen Friedensgespräche in diesem Monat gewarnt, falls Israel das Moratorium nicht verlängere, würden die Palästinenser die Verhandlungen als "Zeitverschwendung" abbrechen. Die Frage der jüdischen Siedlungen im Westjordanland ist der aktuell heißeste Streitpunkt zwischen Israelis und Palästinensern. Rund 300 000 israelische Siedler leben dort unter 2,4 Millionen Palästinensern.

Netanjahu hatte ungeachtet dringlicher Appelle zahlreicher Regierungen - darunter auch der amerikanischen und der deutschen - den Baustopp nicht verlängert. Der palästinensische Chefunterhändler Jassir Abad Rabbo betonte gestern gegenüber Israel Radio, falls im Westjordanland weitergebaut werde, bedeute dies ein Aussetzen der direkten Gespräche und damit des gesamten Friedensprozesses. Präsident Abbas sagte gestern, er werde keine übereilte Entscheidung fällen, sondern sich zunächst am 4. Oktober mit der Arabischen Liga beraten. Erst danach werde er sich zum Schicksal des Friedensprozesses äußern. Nach israelischen Medienberichten liegt diesem Zeitgewinn eine stille Absprache mit Netanjahus Regierung zugrunde. Der Sprecher der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Organisation Hamas, Fausi Barhum, sagte: "Die beste palästinensische Antwort auf die Starrköpfigkeit Netanjahus ist, dass Abbas sich von den Verhandlungen zurückzieht und ihr Ende verkündet."

Die radikale Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) trat aus Protest gegen die Verhandlungen mit Israel aus der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO) aus. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte in Berlin, die Verhandlungen seien "in einer kritischen Phase". Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmanns sagte, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe am Wochenende in der Sache mit US-Präsident Barack Obama telefoniert. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy empfing Abbas in Paris und forderte ein Ende des israelischen Siedlungsausbaus.

Netanjahu telefonierte mit US-Außenministerin Hillary Clinton, ferner mit dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und Jordaniens König Abdullah II. Wie die Zeitung "Haaretz" berichtete, gab es insgesamt zwischen den USA, Israel und den Palästinensern eine lebhafte Telefon-Diplomatie. Netanjahu bat Abbas, trotz des ausgelaufenen Baustopps die Verhandlungen nicht abzubrechen. Er sei bereit, in den kommenden Tagen die Kontakte fortzusetzen, sagte Netanjahu und erklärte: "Ich rufe Präsident Abbas dazu auf, die guten und ehrlichen Gespräche, die wir erst gerade begonnen haben, fortzusetzen, um ein historisches Friedensabkommen zwischen unseren beiden Völkern zu erreichen." Seine Absichten seien "ernsthaft und ehrlich".