Wenige Stunden vor dem Ende des Siedlungsstopps im Westjordanland wurde eine Israelin angeschossen. Siedler wollen jetzt wieder bauen.

Jerusalem. Der auf zehn Monate befristete Baustopp Israels im Westjordanland ist offiziell beendet. Am Sonntag um Mitternacht lief das von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu durchgesetzte Moratorium aus. Die Palästinenser hatten wiederholt mit einem Abbruch der vor gut drei Wochen aufgenommenen Friedensverhandlungen gedroht, sollte der Baustopp nicht verlängert werden. Die Siedler im Westjordanland können mit Ablauf des Baustopps ohne weitere Genehmigungen mehr als 2000 weitere Wohnungen und Häuser bauen.

Israelische Siedler konnten das Ende des Baustopps im Westjordanland gar nicht abwarten. Einige Stunden vor Ablauf der Frist legten sie bereits den Grundstein für einen Kindergarten. Im Westjordanland leben rund 300.000 Siedler sowie 2,4 Millionen Palästinenser.

„Wenn Israel den Stopp des Siedlungsbaus nicht verlängert, dann ist der Friedensprozess eine Zeitverschwendung“, sagte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Sonntagabend nach einem Treffen mit Vertretern der jüdischen Gemeinde in Paris. Abbas wird am Montag in Paris zu einem Treffen mit Präsident Nicolas Sarkozy erwartet. Unter Führung der USA liefen die diplomatischen Bemühungen auf Hochtouren, um doch noch in letzter Minute einen Kompromiss zu finden.

Wenige Stunden vor dem offiziellen Ende des zehnmonatigen Baustopps wurde im Westjordanland eine schwangere israelische Autofahrerin (35) gemeinsam mit ihrem Ehemann durch Schüsse verletzt. Der Angriff ereignete sich in der Nähe einer jüdischen Siedlung südlich der Stadt Hebron.

Dem Paar gelang es, nach dem mutmaßlich von palästinensischen Extremisten verübten Anschlag weiter mit dem Wagen zu einem Krankenhaus zu fahren. Das Baby kam per Kaiserschnitt zur Welt. Es war der dritte Angriff auf jüdische Siedler im Westjordanland innerhalb der vergangenen vier Wochen. Ende August waren vier Israelis, zwei Männer und zwei Frauen, in ihrem Auto in der Nähe der Siedlerhochburg Kiriat Arba erschossen worden. Der Anschlag wurde der radikal-islamischen Hamas zugeschrieben.

In der Ortschaft Revava ließen jüdische Demonstranten 2000 Ballons in die Luft steigen – als Symbol für die genehmigten 2000 Wohneinheiten. Die Demonstranten übten scharfe Kritik an dem auf Drängen der USA im November 2009 verhängten Baustopp. Ministerpräsident Netanjahu hatte seine Landsleute aufgefordert, jegliche Provokation der Palästinenser zu unterlassen. Bereits tagsüber rückten Siedler mit Baumaschinen und Baumaterialien an. Der offizielle Baubeginn war für Montag geplant.

Der palästinensische Unterhändler Nabil Schaath sagte dem israelischen Rundfunk, das Schicksal der drei Wochen alten Friedensgespräche liege in den Händen Netanjahus. Nur er könne die explosive Situation entschärfen, indem er eine Verlängerung des Baustopps verkünde. Israels Führung hielt sich jedoch weitgehend bedeckt. Die wöchentliche Kabinettssitzung in Jerusalem fiel am Sonntag wegen des jüdischen Laubhüttenfests aus. Netanjahu, der am Vorabend Beratungen mit Vertrauten abgehalten hatte, wies seine Minister nach Medienberichten zum Schweigen an.

Derweil dauerten am Wochenende internationale Bemühungen um einen Kompromiss an. Der US-Vermittler George Mitchell traf am Samstag in New York mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zusammen. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak und Chefunterhändler Jizchak Molcho führten am Rande der UN-Vollversammlung ebenfalls Gespräche mit US-Regierungsvertretern und Mitgliedern der Palästinenserführung.

Die Palästinenserführung in Ramallah hatte gedroht, sie wolle die zu Monatsbeginn wieder aufgenommenen Verhandlungen abbrechen, sollte Israel den Siedlungsausbau wieder aufnehmen. Bei einem Gespräch mit der arabischen Zeitung „Al-Hayat“ (Sonntag) sagte Abbas jedoch, er wolle sich zunächst zu Konsultationen an die palästinensischen Institutionen und die Arabische Liga wenden, sollte der Siedlungsausbau weitergehen.

Die im Gazastreifen herrschende Hamas-Organisation forderte den sofortigen Abbruch der Nahost-Gespräche. Hamas-Sprecher Fausi Barhum sagte in einer Stellungnahme: „Die beste palästinensische Antwort auf die Starrköpfigkeit Netanjahus ist es, dass Abbas sich von den Verhandlungen zurückzieht und ihr Ende verkündet.“ Die radikale Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) kündigte sogar ihre Mitgliedschaft in der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO auf. Sie begründete das Ausscheiden aus der Dachorganisation als Protest gegen die Fortsetzung der Friedensgespräche mit Israel.

Netanjahu hatte in der Vergangenheit mehrfach öffentlich versprochen, den Baustopp auslaufen zu lassen. Der Regierungschef befürchtet eine Krise in seiner rechtsgerichteten und siedlerfreundlichen Regierungskoalition. Außerdem haben Siedlerorganisationen unverblümt mit dem Sturz der Regierung und Neuwahlen gedroht, falls der Baustopp verlängert werden sollte. Israelische Medien berichteten von zwei möglichen Kompromisslösungen. Zum einen ist eine dreimonatige Verlängerung des Baustopps im Gespräch, um Israel und den Palästinensern mehr Zeit zu geben, sich über einen künftigen Grenzverlauf zu verständigen. Damit wäre geklärt, wo Israel bauen kann und wo nicht. Zum anderen könnte Netanjahu Abbas anbieten, dass vorerst nur in bereits existierenden großen Siedlungsblöcken wieder gebaut werden darf.