US-Truppen haben sich in Afghanistan erneut ein Bein gestellt und mehrere Koran-Bücher vebrannt. Gewinner sind die Taliban. Erste Todesopfer.

Neu-Delhi. Strenggläubige Muslime würden nicht einmal einen Fetzen Papier wegwerfen, auf dem ein Vers aus dem Koran steht. Für sie ist die Schändung ihres Heiligen Buches eine Todsünde. Nach zehn Jahren Militäreinsatz im extrem konservativen Afghanistan müsste sich das auch in der US-Armee herumgesprochen haben - sollte man meinen. Dennoch "entsorgten" Soldaten auf dem US-Stützpunkt Bagram Koran-Exemplare nun in einem Verbrennungsofen. Alle Versuche der Schadensbegrenzung konnten die wütenden Proteste nicht mehr stoppen, bei denen gestern mehrere Afghanen ums Leben kamen.

Dabei hatte der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf, US-General John Allen, nach Bekanntwerden des Vorfalls sofort den Kniefall vor den Afghanen gemacht. Er wusste, welche Lawine drohte: Nachdem ein Pastor in Florida im vergangenen Frühjahr demonstrativ einen Koran verbrannt hatte, löste dies eine Welle der Gewalt mit 23 Toten in Afghanistan aus. Tagelange Unruhen gab es auch nach einem Medienbericht über eine angebliche Koran-Schändung im US-Gefangenenlager Guantánamo 2005. Als das Magazin den Bericht zurückzog, waren 17 Menschen in Afghanistan und Pakistan tot.

+++ In Afghanistan Auftrag verfehlt +++

+++Die Taliban bereiten die Machtübernahme vor+++

+++Enge Bande zwischen Pakistans Geheimdienst und Taliban+++

Allen entschuldigte sich am Dienstagmorgen - nur Stunden nach dem Vorfall in Bagram - in einer ungewöhnlich demütigen Mitteilung bei dem "edlen Volk Afghanistans". Zu der aus muslimischer Sicht frevelhaften Tat erklärte er: "Ich versichere Ihnen ... ich schwöre Ihnen ... das war NICHT in irgendeiner Weise vorsätzlich." Dass er "nicht" tatsächlich in Großbuchstaben schrieb, lässt auf Allens Verzweiflung schließen: Die Isaf - und allen voran die Amerikaner - kämpfen seit Jahren gegen das Image ebenso unsensibler wie rüpeliger Besatzer an, als die sie immer mehr Afghanen wahrnehmen.

Denn die Koran-Verbrennung in Bagram ist nur das jüngste einer Reihe katastrophaler Ereignisse. Erst vor gut einem Monat tauchte ein Video auf, auf dem lachende US-Marines auf getötete Taliban-Kämpfer urinierten. Davor machte das "Kill Team" Schlagzeilen: amerikanische Soldaten, die 2010 mordend durch Afghanistan zogen und die Leichen ihrer zivilen Opfer verstümmelten. Die Liste der Demütigungen ließe sich fortschreiben. Kaum verwunderlich, dass in einer Umfrage der Asia Foundation vergangenen November 63 Prozent der Afghanen angaben, ausländischen Soldaten nicht zu vertrauen.

Wie ernst die unbedachte Koran-Verbrennung in Bagram auch von der US-Regierung genommen wurde, zeigte die umgehende Entschuldigung von Verteidigungsminister Leon Panetta an die Adresse der Afghanen. Zu einem solchen Schritt rang sich Washington nicht einmal durch, als US-Soldaten im vergangenen November an der afghanischen Grenze 24 verbündete pakistanische Soldaten töteten. Doch Panettas Entschuldigung verpuffte ebenso wirkungslos wie die Direktive Allens, der all seinen Soldaten bis zum 3. März Nachhilfe beim Umgang mit religiösen Schriften wie dem Koran verordnete.

Gestern weiteten sich die Proteste aus, die Gewalt brach sich ungehemmt Bahn. In mehreren Landesteilen kam es zu Zusammenstößen. In der Provinz Parwan, wo Bagram liegt, griff ein Mob ein Verwaltungsgebäude an. In der Hauptstadt Kabul versammelten sich mit Eisenstangen bewaffnete Aufrührer vor einem gesicherten Gebäudekomplex, in dem Ausländer wohnen. Steine flogen durch die Luft. Die Menge skandierte "Tod für Amerika" - und sie rief "Stirb, Karsai".

Präsident Hamid Karsai wird für Verfehlungen der Ausländer immer wieder in Mithaftung genommen. Um dem Eindruck entgegenzuwirken, er sei nur der Kopf eines Marionettenregimes, hat Karsai seine Kritik an den Amerikanern seit seiner Wiederwahl Ende 2009 deutlich verschärft. Zum Vorfall von Bagram hielt er sich nun allerdings auffällig zurück - anders als nach der Koran-Verbrennung in Florida im vergangenen Jahr. Damals war Karsai vorgeworfen worden, die Afghanen durch seine öffentliche Kritik erst auf die Provokation aufmerksam gemacht und damit die Unruhen im Land ausgelöst zu haben.

Gewinner der gedankenlosen Koran-Verbrennung in Bagram sind - wie immer, wenn sich ausländische Truppen danebenbenehmen - die Taliban. Die selbst ernannten Gotteskrieger teilten mit, die Schändung des Korans entspreche dem Charakter der US-Invasoren. Und ausgerechnet die Taliban - die Kinder als Selbstmordattentäter in den Tod schicken - riefen "alle Menschenrechtsorganisationen" dazu auf, "solche barbarischen Handlungen der Amerikaner" zu verhindern. Die US-Botschaft und internationale Hilfswerke in Afghanistan sagten aus Sicherheitsgründen alle Reisen ab. Bisher wurden keine Vorkommnisse im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr gemeldet.