Nach dem Tod des polnischen Staatschefs Lech Kaczynski müssen bis Ende Juni Präsidentenwahlen stattfinden. Und Polen trägt Trauer.

Warschau/Moskau. Der polnische Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski hat nach dem Tod von Präsident Lech Kaczynski und weiterer Politiker beim Flugzeugabsturz in Smolensk eine einwöchige Staatstrauer angeordnet. Komorowski appellierte an die Eintracht des Landes. „Es gibt heute keine Rechte und keine Linke, keine Differenzen“, betonte der Parlamentschef, der nach der Verfassung die Geschäfte des Staatsoberhaupts übernommen hat.

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Nach dem Tod des polnischen Staatschefs Lech Kaczynski müssen nun bis Ende Juni Präsidentenwahlen stattfinden. Die Verfassung sieht für den Fall, dass ein amtierender Staatschef stirbt, Neuwahlen binnen zwei Monaten vor. Regulär hätten im Herbst Präsidentenwahlen in Polen stattgefunden.

Polen in der Schockstarre

Nach dem Tod von Staatspräsident Lech Kaczynski versammelten sich am Sonnabend vor dem Präsidentenpalast in Warschau spontan Hunderte von Menschen zum Gebet. Angesichts der Tragödie flatterte die Staatsflagge auf Halbmast, während die Trauernden vor dem Gebäude Kerzen anzündeten. Sogar der frühere Präsident Lech Walesa, der sonst immer eine schnelle Antwort auf jede Frage parat hat, suchte lange nach den richtigen Worten. Bei diesem Flugzeugabsturz sei „die Elite der Nation“ gestorben, sagte der Friedensnobelpreisträger und einstige Arbeiterheld. Der Verlust sei so gewaltig wie vor 70 Jahren in Katyn.

Auch Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski konnte sich nur schwer beherrschen. „Das ist ein verfluchter Ort“, sagte der Vorgänger Lech Kaczynskis. „1940 war dort die Elite des Vorkriegspolens ermordet worden, jetzt starb dort die Elite der Dritten Republik“, erklärte Kwasniewski. Das ist ein „Messerstich direkt ins Herz“, beschrieb der Politiker seine Gefühle. Vom Zwillingsbruder des ums Leben gekommenen Präsidenten, dem Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, war zunächst kein Wort zu hören.

In der Tat liest sich die Passagierliste der Unglücksmaschine wie ein „Who is Who“ der polnischen Politik. Außer Präsident Kaczynski, seiner Ehefrau Maria und den engsten Mitarbeitern der Präsidentenkanzlei starben bei Smolensk auch Dutzende von anderen polnischen Spitzenpolitikern. Darunter waren auch Vize-Parlamentschef Jerzy Szmajdzinski, Vize-Außenminister Andrzej Kremer, der Chef der Nationalbank Slawomir Skrzypek sowie viele Parlamentarier. Unter den Toten sind zudem der Generalstabschef Franciszek Gagor sowie Oberbefehlshaber mehrerer Waffengattungen. Auch Militärbischof Tadeusz Ploski war am Bord.

Selbst Regierungschef Donald Tusk, der seinem Konkurrenten Kaczynski 2005 bei der Präsidentenwahl unterlegen war, kamen die Tränen, als er von der Nachricht erfuhr. Tusk berief umgehend eine Krisensetzung seines Kabinetts ein. Um die Kontinuität der Macht zu erhalten, übernimmt laut Verfassung Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski die Geschäfte des Staatsoberhaupts. Er soll innerhalb von 14 Tagen über vorgezogene Präsidentenwahlen entscheiden.

Ursprünglich sollte der neue Präsident im Herbst gewählt werden. Der Kandidat der Regierungspartei PO, Komorowski, galt als Favorit der Wahl. Die Kommentatoren erwarteten einen harten Wahlkampf zwischen ihm und dem Amtsinhaber. Die Liberalkonservativen um Tusk und Nationalkonservativen um die Kaczynski-Zwillinge wetteifern seit Jahren mit harten Bandagen um die Macht. Kaczynskis Tod machte nun die Gefahr einer Schlammschlacht gegenstandslos.

Selbst der größte Polemiker der PO, Vize-Parlamentspräsident Stefan Niesiolowski, der immer wieder den Präsidenten angegriffen hatte, schlug versöhnliche Töne an. „Streit ist angesichts dieser Tragödie unwichtig“, sagte der Politiker. „Wir sollten jetzt beten“, so Niesiolowski. „Jetzt sehen wir, wie wenig ein Menschenleben zählt“, meinte philosophisch Walesa.