Israels Siedlungsplan durchkreuzte die Friedens-Bemühungen des US-Vizepräsidenten. Premier Netanjahu will von nichts gewusst haben.

Jerusalem. Den ganzen Tag lang hatte Joe Biden sich bemüht, seine Verbundenheit mit Israel zum Ausdruck zu bringen. Der US-Vizepräsident hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geschmeichelt, hatte sich gegen einen nuklear bewaffneten Iran ausgesprochen und deutlich gemacht, dass die Sicherheit Israels auch für die Regierung von Präsident Barack Obama höchste Priorität hat.

Dann bekam er die Quittung für seine Anstrengungen, die im vergangenen Jahr leicht abgekühlten Beziehungen der beiden Länder wieder zu verbessern. Just während Biden mit Netanjahu unter anderem über die Aufnahme indirekter Friedensverhandlungen mit den Palästinensern beriet, genehmigte ein Ausschuss des Innenministeriums den Bau von 1600 neuen Wohneinheiten in Ramat Schlomo, einem ultraorthodoxen Stadtteil jenseits der Grünen Linie. Das war ein diplomatischer Affront, eine "Ohrfeige, die bis nach Washington hallte", wie die Zeitung "Haaretz" schrieb.

Zwar hatte Israel Ost-Jerusalem explizit von einem auf zehn Monate befristeten Siedlungsbaustopp ausgenommen, das ändert aber nichts daran, dass sowohl die Palästinenser als auch der größte Teil der internationalen Gemeinschaft den israelischen Anspruch auf ganz Jerusalem nie anerkannt haben. Die Palästinenser drohten dann auch sofort mit dem Abbruch der Verhandlungen, bevor diese überhaupt begonnen hatten.

Biden blieb wenig Handlungsspielraum: Wollte er die Palästinenser nicht völlig verprellen, musste er entschieden reagieren. Schriftlich erklärte Biden, das Bauvorhaben sei eine Handlung, "die das Vertrauen untergräbt, das wir jetzt brauchen, und allen konstruktiven Gesprächen zuwiderläuft, die ich hier in Israel hatte". Netanjahu wird es wohl auch als Zeichen der Verärgerung seines Gastes verstanden haben, dass Biden ihn und seine Frau eineinhalb Stunden warten ließ, ehe er zum gemeinsamen Abendessen eintraf.

Netanjahu will von der bevorstehenden Bekanntgabe der Genehmigung nichts gewusst haben. Es handele sich um einen dummen Zufall, soll er Biden erklärt haben. Der Plan sei bereits vor drei Jahren vorgestellt worden, und es könnten noch Monate vergehen, bis auf diese erste Genehmigung eine endgültige Bauerlaubnis folgen würde. In keinem Fall sei es die Absicht Israels gewesen, den US-Vizepräsidenten bloßzustellen.

Auch Innenminister Eli Jischai von der sefardisch-orthodoxen Schas-Partei gab sich ahnungslos. Er sei von dem betreffenden Ausschuss nicht informiert worden, sagte er im Armeeradio. Ansonsten hätte er sich selbstverständlich dafür eingesetzt, die Bekanntgabe des Ausschusses um ein oder zwei Wochen zu verschieben. Es ist unwahrscheinlich, dass der politisch erfahrene Netanjahu den besten Freund Israels in der US-Regierung brüskieren wollte. Doch hat der Innenminister wirklich nichts von den Vorgängen in seinem eigenen Haus gewusst? Nach Informationen der Zeitung "Jedioth Achronoth" soll Netanjahu die Minister in seinem Kabinett mehrfach darum gebeten haben, unangenehme Überraschungen während Bidens Besuch zu vermeiden.

Selbst wenn Jischai ebenfalls von der Entscheidung des Ausschusses überrascht wurde, muss man sich fragen, ob es nicht vielleicht ein ernsthaftes Problem ist, dass so wichtige Entscheidungen angeblich sowohl am Premier als auch am Innenminister vorbei zur Unzeit bekannt gegeben werden.

Gestern traf Biden dann in Ramallah mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fajjad und mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zusammen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Abbas wiederholte Biden seine Kritik an den israelischen Bauplänen für Ost-Jerusalem und sagte, die Palästinenser verdienten einen "lebensfähigen Staat" auf einem zusammenhängenden Territorium. Die Vereinigten Staaten seien überzeugt, dass die nun vereinbarten Verhandlungen zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten führen würden. Im Namen der US-Regierung versprach er, bei den Verhandlungen eine ebenso aktive wie langfristige Rolle spielen zu wollen.