Schlange stehen für die Wahl. Beide Seiten sprechen schon jetzt von “Betrug“. Wahlcomputer arbeiten nicht einwandfrei, Briefwahlunterlagen verschwanden . . .

Miami. Lisa Markowicz übt sich in Geduld. Seit über drei Stunden steht sie bei sengender Hitze in der Schlange vor dem Rathaus in Fort Lauderdale (Florida) und wartet darauf, ihre Stimme für die US-Präsidentschaftswahl abgeben zu können. Die Mutter von zwei Kindern ist gelassen. "Das ist ein kleiner Preis dafür, daß man in einer Demokratie leben kann", meint sie fröhlich. Auch wenn offiziell erst am morgigen Dienstag in den Vereinigten Staaten "election day", Wahltag, ist, so haben gut die Hälfte aller US-Bundesstaaten beschlossen, ihre Bürger schon früher wählen zu lassen, wenn sie das wünschen.

Besonders im "Sonnenschein-Staat" wird davon Gebrauch gemacht. Hier war vor vier Jahren das Epizentrum der umstrittensten Wahl in der amerikanischen Geschichte. Erst 36 Tage nach dem Wahltag, nachdem Hunderte von Beamten, Politikern und Juristen mit Lupen Zehntausende von Wahlzetteln kontrolliert hatten, war George W. Bush vom Obersten US-Gericht zum neuen Präsidenten erklärt worden. 537 Stimmen Mehrheit in Florida gaben den Ausschlag.

Nach dem Chaos des Jahres 2000 hatte man geschworen, daß es hier so etwas "nie wieder" geben werde. Angeblich unfehlbare Wahlcomputer wurden angeschafft. Die Wählerverzeichnisse wurden überarbeitet, man führte die Möglichkeit der frühen Wahl ein. "Alles bestens", verkündete Floridas Gouverneur Jeb Bush, der Bruder des Präsidenten vor drei Wochen.

Davon kann jetzt jedoch keine Rede mehr sein. Während vor vier Jahren die Juristen und Gerichte erst nach der Wahl aktiv wurden, gibt es nun bereits vor dem "election day" über ein Dutzend Klagen vor örtlichen Gerichten. Sowohl Republikaner als auch Demokraten sprechen von "Wahlbetrug". Die Wahlcomputer arbeiten nicht akkurat, Wähler sind oft doppelt aufgeführt oder gar nicht. Rechtsanwalt Stephen Zack, der als Wahlbeobachter für den demokratischen Kandidaten John Kerry arbeitet, beschuldigt "die andere Seite", ethnische Minderheiten - "besonders Schwarze" - einzuschüchtern, "um sie so vom Urnengang abzuhalten". Schwarze wählen traditionell meistens demokratisch.

Niemand läßt sich in den Tagen vor der Wahl natürlich die Schuld zuweisen. So ist immer noch ungeklärt, wo Briefwahlunterlagen für 58 000 Bürger landeten, die angeblich rechtzeitig in Broward County, nördlich von Miami rausgeschickt wurden, jedoch niemals ankamen. Das Mißtrauen ist groß.

Die täglich veröffentlichten Umfragen sorgen auch nicht für Entspannung. Bush und Kerry sind fast überall gleichauf. Gestern hatte der Präsident im Schnitt zwei Punkte Vorsprung. Doch das ist unwichtig, da die Fehlerquote der Umfragen bei 3,5 Prozent liegt. Politische Experten sind sich einig, daß eine hohe Wahlbeteiligung ein Vorteil für John Kerry wäre.

Die Kandidaten wissen jedoch, daß Florida auch diesmal wieder "Ground Zero" der Präsidentschaftswahl sein könnte, und so verbringen sie in der letzten Woche fast jede freie Minute im Sonnenschein-Staat. Am Freitag kam John Kerry nach West Palm Beach, der Stadt, die dafür verantwortlich ist, daß George W. Bush und nicht Al Gore im Weißen Haus sitzt. Hier hatte vor vier Jahren die demokratische Wahlbeauftragte Theresa Le Pore einen mißverständlichen Wahlzettel kreiert, der Tausende von Stimmen, die für Al Gore gedacht waren, aus Versehen an den Ultrakonservativen Pat Buchanan gegeben hatte.

Doch jetzt steht Kerry auf der Bühne des Walter Amphitheaters in Downtown West Palm Beach und krempelt symbolträchtig die Ärmel seines blauen Hemdes hoch. "Help is on the way" (Hilfe ist unterwegs), ruft er den rund 5000 Leuten, die gekommen sind, um ihn "live" zu erleben. Die Bürger hören seine normale "stump speech", die Wahlrede, die der Demokrat mit leichten regionalen Variationen seit Monaten im ganzen Land verkündet. Kerry verspricht, sich im Gegensatz zu Bush "für die Mittelklasse" einzusetzen, und läßt die Zuhörer wissen, daß er Osama bin Laden "mit einer intelligenteren Strategie zur Strecke bringen" werde.

Der Präsident plant unterdessen zuversichtlich für eine weitere Amtszeit im Weißen Haus, und für die Gemeinde seiner Anhänger gibt es keinen Zweifel am Sieg des Republikaners. Am Sonnabend präsentiert sich Bush in der Disney-Stadt Orlando vor rund 15 000 Leuten in einer riesigen Sporthalle energiegeladen und bezeichnet unter dem Jubel der Fans, John Kerry als jemanden, "dem man nicht trauen kann". Besonders in Zeiten des Krieges sei es gefährlich, "mitten im Fluß die Pferde zu wechseln".

Zum Abschluß ruft Bush ins Rund: "Ihr könnt mit mir übereinstimmen oder auch nicht, aber ihr wißt mit mir auf jeden Fall immer, woran ihr seid."