Bin Laden platzt mit einem Video in die Endphase des Wahlkampfs. Was es den Experten verraten kann. Eine Analyse

Hamburg. Ungewollte Einmischung in den US-Wahlkampf mußten die Kontrahenten George W. Bush und John Kerry in der heißen Schlußphase am Wochenende von Terrorchef Osama bin Laden ertragen. In einem vom arabischen TV-Sender Al Dschasira ausgestrahlten Video, das Experten für echt und aktuell halten, meldete er sich in der Welt zurück.

Betont zurückhaltend und in seiner Wortwahl weniger blutrünstig, spricht er die Amerikaner direkt an, prahlt erneut mit den Anschlägen vom 11. September und macht sich über George W. Bush lustig. Bush und Kerry, die in den Umfragen bisher gleichauf liegen, machten sich daraufhin gegenseitig Vorwürfe, die Terrorgefahr nicht bekämpfen zu können. Wem von beiden das Video nun nutzen könnte, blieb aber unter US-Experten umstritten.

Damit haben alle Spekulationen, Osama bin Laden sei geschwächt, krank, vielleicht sogar an seiner Nierenkrankheit gestorben oder im Kampf gefallen, wieder an Wirkung verloren. Zuletzt hatte der untergetauchte Terrorchef im April 2004 Europa per Tonband einen "Waffenstillstand" angeboten, wenn "keine muslimischen Länder" angegriffen würden. Sein letztes Video ("Der Kampf geht weiter") stammt von September 2003.

Diesmal steht bin Laden jedoch nicht in Kämpferposition auf seine Waffe gelehnt irgendwo auf felsigen Höhen, sondern sitzt in aufrechter Haltung vor einer braunen Wand. Wo auch immer er lebt - es scheint ihm dort gutzugehen.

Für die Geheimdienste ist das keine sonderliche Überraschung. "Wir wüßten, wenn er tot wäre", pflegt der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, immer auf diese Frage nach Osama bin Laden zu antworten. Sobald eine Botschaft vom Terrorchef eingeht, sitzen die Analyse-Experten der Geheimdienste weltweit über der Entschlüsselung.

Der phonetische Fingerabdruck, der Melodik, Sprechtempo, Atempausen und Muskelbewegungen analysiert, sagt den Experten, ob es sich wirklich um bin Laden handelt, und auch, wie es ihm geht. Hört man auch einen Vogel zwitschern, werden Ornithologen hinzugezogen, Landschaft im Hintergrund bestimmen Geographen und Bodenexperten. Können sie herausfinden, wo der Terrorchef steckt?

Über seinen Aufenthaltsort ist viel spekuliert worden. Experten wollten auf dem letzten Video die Toba-Kakar-Berge im Nordwesten Pakistans an der afghanischen Grenze ausgemacht haben. Die Mobilisierung der pakistanischen Armee dort und wohl auch der Einsatz von US-Spezialkräften bleibt jedoch erfolglos.

In der bergigen Region leben viele Al-Kaida-Anhänger. Außerdem ist es bin Laden gewohnt, sich in Berghöhlen zu verstecken. Es gab aber auch das Gerücht, bin Laden habe sich als Fischer verkleidet zu seiner Familie in den Jemen abgesetzt. Doch auch dies ließ sich nicht bestätigen.

Die CIA vermutet, Osama bin Laden gebe seinen Anhängern verschlüsselte Botschaften in den Tonbändern und Videos. Sicher ist, daß seine Anhänger damit weltweit angestachelt und neue rekrutiert werden.

Wie schlagkräftig sie sind, haben sie zuletzt im März mit den Anschlägen von Madrid gezeigt.